Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen

107 AUS DEM LEBEN VON WOLFGANG KUHN Wolfgang Kuhn wird am 29. November 1943 in Schatzlar (heute: Žaclé ř ) im damals dem Deutschen Reich einverleibten Sude- tenland geboren. 86 Der überwiegend deutsch besiedelte Ort – 1930 waren 724 der 3.611 Einwohner Tschechen – wird bei Kriegsende von tschechischen Behörden übernommen, die umgehend mit der Vertreibung der Deutschen beginnen. Davon sind auch Wolfgang und seine Familie betroffen, ohne dass der Anderthalbjährige an diese dramatische Phase seines jungen Lebens noch irgendwelche Erinnerungen hätte. In mühsamer Recherchearbeit ermittelt er später folgende dürre Fakten: Seine Tante etwa wird mit ihrer Familie nach Wollrode bei Kassel transportiert – ein Ort, der in Wolfgangs Leben noch eine große Rolle spielen sollte. Ihn selbst verschla- gen die Nachkriegswirren mit seiner 1917 geborenen Mutter Frieda in die Nähe von Torgau. Der 1913 geborene Vater Rai- mund wird bei Kriegsende von Tschechen verhaftet und in ei- nem Lager interniert, worüber Wolfgang Kuhn zu seinem großen Bedauern trotz großer Mühen später kaum etwas in Erfahrung bringen kann. Sein Vater hat nie über seine Lagererfahrungen erzählt. Seine Stiefmutter habe sehr viel später auf Nachfrage lediglich angedeutet, dass Raimund Kuhn dort viel habe erdul- den müssen. Ein etwaiger Verbleib im Sudetenland, so viel scheint zumindest sicher, ist zu keinem Zeitpunkt eine Option gewesen, zumal beide Elternteile kein Wort Tschechisch ge- sprochen haben. Weil im Hause Kuhn später auch darüber nie gesprochen wird, bleiben die weiteren Geschehnisse zwischen Mai 1945 und April 1946 ebenfalls bis heute weitgehend im Dunkeln. An- hand der wenigen erhaltenen Dokumente lässt sich – zwangs- läufig vage - folgender Ablauf rekonstruieren: Nachdem ihr Mann Raimund, den sie im August 1939 geheiratet hat, verhaftet und interniert worden ist, wohnt Frieda Kuhn mit ihrem kleinen Kindheit ohne Erinnerungen – Sudetenland und Vertreibung Die von der Gemeinde Döbrichau ausgestellte Registrierkarte, 26. Mai 1946 Links: Der Räumungsbefehl vom 1. August 1945

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