Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen

131 AUS DEM LEBEN VON ELISABETH SCHÜTTE Elisabeth Schütte (rechts) und Ihre Eltern Maria und Paul in der Wohnung in Rheydt, um 1960 „Das Leben endlich mal wieder von einer schöneren Seite sehen.“ – Integration und Heimat? Rückkehrgedanken, so erinnert sich Elisabeth Schütte, hätten bei ihr und ihrem Bruder eigentlich zu keiner Zeit eine große Rolle gespielt. Ganz anders habe das bei ihren Eltern ausge- sehen: „Die haben an diesem Gedanken noch sehr lange ge- hangen.“ Insbesondere ihr Vater habe „sehr gelitten“, was sei- nen psychosomatischen Ausdruck wohl in der Migräne gefunden habe, unter der er seit der Vertreibung leidet. Er habe häufig im Sessel gesessen „und litt, litt, litt und schwieg im- mer“. Außerdem macht Elisabeth Schütte hinsichtlich der Anpas- sungsbereitschaft am Niederrhein einen deutlichen Unterschied zwischen sich selbst und ihrem zweieinhalb Jahre jüngeren Bruder Alfred aus. „Der hat die ganze Vertreibung auch emo- tional nicht so tief empfunden wie ich. Der hat ganz andere Er- innerungen.“ Das zeige sich auch in den Berichten, die beide vor einigen Jahren zum Thema „Flucht und Vertreibung“ ver- fasst hätten. Ihr Bruder habe sich dabei weitgehend auf Daten und Fakten beschränkt und - im Gegensatz zu ihr - alles Emo- tionale weitgehend ausgespart. Schon früh zieht Elisabeth eine deutliche Konsequenz aus ihrer emotionalen Bindung an die schlesische Heimat. „Ich habe von vorneherein dieses rheinische Platt nicht lernen und spre- chen wollen“, umreißt sie ihre damalige Entscheidung. Sie ver- stehe es zwar, aber sie könne es bis heute nicht sprechen – ganz im Gegensatz zu ihrem Bruder: „Der hat sich sofort assi- miliert. Der sprach Platt wie die Einheimischen. Der hat sich total eingegliedert und angepasst.“ Es habe mindestens sechs Jahre gedauert, so erzählt sie weiter, bis sie persönlich das „Trauma“ der Vertreibung über- wunden und die „Last auf der Seele“ abgeschüttelt habe. Bis dahin habe sie sich „irgendwie bedrückt und belastet“ gefühlt. Erst ab etwa 1952 sei es ihr in dieser Hinsicht „etwas besser“

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