Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen

136 DIE RAHMENBEDINGUNGEN: DIE LAGE IM WESTEN Das und die parallel erfolgenden schweren Bombardements ließen den Strom der Evakuierten und Fliehenden am Niederrhein seit Januar 1945 nochmals deutlich anschwellen. Dabei handelte es sich im Kreisgebiet Grevenbroich nach Auskunft der Korschen- broicher Pfarrchronik zumeist um „Bauern aus der Umgebung von Jülich, Geilenkirchen und Heinsberg, die hier Aufnahme fanden“ – also um Menschen aus jener Gegend, die es am 16. November des Vorjahres so schwer getroffen hatte. Dabei setzte sich nun - zum offensichtlichen Leidwesen der je- weiligen Ortsbevölkerung – zunehmend der Trend durch, dass die Menschen nicht mehr über den Rhein weiterzogen, sondern, das nahe Kriegsende vor Augen, versuchten, in den Dörfern selbst „Wohnung zu nehmen“, um nach Abschluss der Kampfhandlungen möglichst schnell in ihre angestammten Orte zurückkehren zu können. DEM KRIEGSENDE ENTGEGEN Das Kriegsende rückte im Laufe des Februar 1945 mit schnellen Schritten heran. Zunächst starteten die Westalliierten am 8. Feb- ruar die „Operation Veritable“, in deren Verlauf sie sich von Nijmwegen aus der Region Kleve-Xanten näherten. Für das Gre- venbroicher Kreisgebiet wichtiger war die „Operation Grenade“, die mit der Überquerung der Rur zwischen Roermond und Düren am 23. Februar ihren Anfang nahm und innerhalb weniger Tage beinahe kampflos zum Erfolg führte. Insbesondere die Bewohner des linksrheinischen Reichsgebiets dürften sich „im falschen Film“ gewähnt haben, als Adolf Hitler am 24. Februar aus Anlass des 25. Jahrestages der Verkündung des NSDAP-Parteiprogramms trotz völlig aussichtsloser militärischer Lage eine Rede verlesen ließ, in der er eine „geschichtlicheWende“ versprach, die noch in diesem Krieg eintreten und das Deutsche Reich zum Sieg führen werde. Es gebe nur ein „Gebot“, nämlich „mit äußerstem Fanatismus die letzte Kraft einzusetzen“. – Vier Tage später wurden die Orte imheutigen Jüchener Gemeindegebiet von alliierten Truppen besetzt! In den Dörfern des Niederrheins wartete die Bevölkerung an- gesichts solch vollmundiger, den Alliierten härtesten Widerstand androhender Äußerungen in angstvoller Erwartung auf das, was nun kommen würde. In vielen Ortschaften hielten sich zu diesem Zeitpunkt nämlich nochWehrmachts- oder Waffen-SS-Einheiten auf, von denen einige – angestachelt durch derartige Durchhalte- parolen - durchaus gewillt schienen, sich ohne jegliche Chance dem anrückenden Gegner entgegenzustellen. Das bedeutete für die Menschen eine große Gefahr, denn die überlegenen Feinde würden sicherlich nicht davor zurückscheuen, von ihremWaffen- arsenal Gebrauch zu machen. Zugleich war für die angstvoll War- tenden völlig offen, wie die siegreichen Alliierten auf all das rea- gieren würden, was in den Jahren zuvor in deutschem Namen an Verbrechen geschehen war, von denen viele eher etwas ahnten, als dass sie es konkret gewusst hätten. Und wie würde sich die eigene Zukunft gestalten?Wie die Zusammenführung der oft zerrissenen Familien und wie der Wiederaufbau? Bei all dem spielte der Zufall oft eine große Rolle. Einige Dörfer waren – in aller Regel zufällig – von Bombenangriffen getroffen worden, andere völlig verschont geblieben. In einigen Orten ent- schloss sich die Wehrmacht zum frühzeitigen Abzug, in anderen stellte sie sich dem Kampf – mit häufig gravierenden Folgen für die Einheimischen. Ein amerikanischer Militärbeobachter berich- tete vomNiederrhein: „Der Zustand der zahlreichen kleinen Land- städte und Dörfer reicht von totaler Zerstörung bis zu völliger „Rhein überschritten“ – „Vor Danzig und Stettin“: Diese Ausgabe der von der US- Armee herausgegebenen „Feldpost“ aus demMärz 1945 verdeutlicht per Landkarte und Text den unaufhaltsamen Ansturm der Alliierten in West und Ost.

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