Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen
14 AUS DEM LEBEN VON FRITZ STÖCKEL Fritz Stöckel wurde 1905 im niederschlesischen Langenöls gebo- ren, wo er als Kind aus einfachen Verhältnissen zunächst das letzte Jahrzehnt des Deutschen Kaiserreichs und anschließend die Jahre des Ersten Weltkriegs erlebte. Weihnachten 1919 aus der Schule entlassen und im April 1920 konfirmiert, begann er eine Schlos- serlehre im Nachbarort, die er Anfang 1923 erfolgreich abschloss. Im Rahmen seiner Ausbildung entdeckte Fritz Stöckel seine Affi- nität zuMotoren und zur Elektrizität, die sein weiteres Leben prä- gen sollte. 1924 meldete er sein erstes „Kleingewerbe“ als Elektromonteur an, dessen Einkünfte es ihm bereits 1927 ermöglichten, ein älteres Haus in seinemGeburtsort zu erwerben. Im Frühjahr des gleichen Jahres heiratete er, imHerbst wurde Tochter Ruth geboren. Nach- dem er im September 1928 die Meisterprüfung abgelegt und im April 1929 den ersten Lehrling eingestellt hatte, ging es mit dem kleinen Betrieb, der sich auf den Aufbau und die Wartung von Stromnetzen und dieWicklung und Reparatur von Elektromotoren spezialisiert hatte, weiter aufwärts. Wenn er dem NS-Regime nach eigenem Bekunden auch eher kritisch gegenüberstand, so profitierte Fritz Stöckel doch von dessen Aufrüstung und der einsetzenden technischen Modernisierung. Nachdem 1936 Sohn Siegfried das Licht der Welt erblickt hatte, konnte er 1937 ein neues Haus bauen, das nunmehr neben der Werkstatt auch ein Ladengeschäft umfasste, das am 30. September 1937 eröffnet wurde. Der Zweite Weltkrieg brachte in familiärer Hinsicht zwar schmerzhafte Einschnitte – Schwager und Neffe kamen bereits 1939 und 1940 an den Fronten ums Leben -, beeinträchtigten aber nicht den Fortgang des Geschäfts. An Rheuma erkrankt, war Fritz Stöckel mehrfach ausgemustert worden und konnte daher seinen Betrieb weiterführen. Als er im Sommer 1942 jedoch mit der schle- sischen Hitlerjugend in einen Konflikt geriet, wurde er – so zu- mindest seine Interpretation der Ereignisse – zum 1. August 1942 doch noch zur Wehrmacht einberufen. Nach Grundausbildung und kurzem Einsatz an der Nordsee wurde er allerdings wegen sei- nes Rheumaleidens bereits im Herbst 1942 wieder nach Hause entlassen. Hier nahm er seinen Betrieb wieder auf und führte bereits im Frühjahr 1943 wieder große Aufträge in Form des Lei- tungsumbaus in den Dörfern der Umgebung aus. Damit war er noch beschäftigt, als sich im Herbst 1944 mit dem Heranrücken der Roten Armee das Kriegsende abzeichnete. An dieser Stelle setzt der folgende Bericht ein. Der Spätherbst [1944] war da, wir waren mit den drei Dörfern fertig, eine neues Dorf in der Nähe, Rengersdorf, bekam ich zum Umbau in Auftrag. Die Russen waren in Ostpreußen und in unserem Schlesien gewaltig im Vormarsch, man wusste nicht mehr, was werden sollte. Gewaltige Flüchtlingstrecks bewegten sich auf den Straßen. Das große Unheil war im Kommen, keiner von uns war sich der tatsächlichen Lage bewusst. Weihnachten 1944 war da, es gab viel Schnee und am Heiligen Abend hatten wir eine Temperatur von 22 Grad minus. (...) Ich hatte schon mehrere Male ein Gespräch mit dem Feld- webel der Truppe und gebeten, falls mal die Sache brenzlig sei, mich zu benachrichtigen. Es lag etwas in der Luft, der Donner wurde spürbar lauter. Im Laufe des Vormittags kam er zu mir und sagte mir, falls ich noch über die Brücke nach Hause wolle, müsste ich umgehend abrücken, sie warteten stündlich auf den Befehl, die Brücke zu sprengen. Das genügte mir. Von der Post rief ich den nächsten Dienststellenleiter des E-Werkes in Mar- klissa an, der erklärte mir auch, was los war, Lauban würde seit dem frühen Morgen des 13.2. evakuiert. Ich machte mich auf den Nachhauseweg. Dort erwartete mich meine Frau mit den Worten: „Du bist noch unterwegs, und wir werden hier abtrans- portiert.“ Langenöls wurde auch vom Zivil geräumt, ich musste da bleiben, meine Familie sollte mit weg, vor allen die Kinder. Wir versteckten sie, damit wir zusammenbleiben konnten. (...) Die Russen waren weiter nach Thiemendorf vorgestoßen. Im Mitteldorf in einer Gastwirtschaft hatte die Reichsmonopol- verwaltung im Keller 40.000 Liter Sprit eingelagert, die Russen hatten das Lager gefunden und mehre Tagen tüchtig gezecht, dadurch war der Vormarsch stecken geblieben. Größere Trup- peneinheiten kamen nach Lauban und auch in unseren Ort. Lauban griffen die Russen mit großen Einheiten, vor allem Pan- zerverbänden, an, die Stadt wurde zum größten Teil besetzt und gewaltige Kämpfe entbrannten, ganze Straßenzüge wurden in Schutt und Asche verwandelt, Bahnhof, Eisenbahnwerkstatt wurden besetzt und zum Teil schwer beschädigt. Jeden Abend war in den Tagen der Himmel blutrot von den vielen Bränden, der Russe brannte viele Gehöfte nieder, der Russe setzte die Stalinorgelgeschütze in großer Anzahl ein. Es war ein grausiges Schauspiel am nächtlichen Himmel. (…) Meine Schwester Frieda mit Kindern hatten eine kleine Land- wirtschaf in Nachbarort Ober-Thiemendorf. Kurz vor Einmarsch der Russen war sie mit den Kinder und 3 Kühen und etlichen Habseligkeiten Hals über Kopf geflüchtet, zuerst zu uns nach Langenöls, da unser Ort auch flüchten musste, zog sie weiter bis nach Gieshübel zu alten Bekannten. Dort verweilte sie bis zum Rückzug der Russen aus Lauban und Thiemendorf. Die wertvollen Herden Kühe des Mittelgutes und der Bauern hatte man in Richtung Marklissa-Hartmannsdorf abgetrieben. Am 9.3. 1945 war die Eisenbahnlinie bis Lauban und Görlitz wieder frei. Meine Schwester machte sich wieder auf die Heimreise,
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