Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen

143 DIE RAHMENBEDINGUNGEN: DIE LAGE IM WESTEN der Hoffnungslosigkeit verstärkten. Für die Volkswirtschaft hatte die Vernichtung von Industriekapazitäten hingegen kaum Aus- wirkungen, sondern zog auf lange Sicht sogar eher positive Effekte nach sich. Während nämlich die demontierten veralteten Anla- gen für die Empfänger oft wertlos waren, konnten sie in West- deutschland durch moderne und rationell arbeitende Werke er- setzt werden. In den USA zeichnete sich seit Mitte 1947 ein grundlegender Wandel in der Deutschlandpolitik ab, der seinen deutlichsten Ausdruck in dem von Außenminister George C. Marshall initi- ierten „European Recovery Program“ (ERP) fand. Diese seit 1948 gewährte und als „Marshall-Plan“ bekannt gewordene Hilfe gründete weniger auf Nächstenliebe als auf der Einsicht in öko- nomische Notwendigkeiten. Außerdem sollte der Plan in Zeiten des beginnenden „Kalten Krieges“ die notleidende Bevölkerung Europas gegen kommunistische Einflüsse immunisieren und langfristig Absatzmärkte für die amerikanische Wirtschaft si- chern. Die Einladung an Deutschland zur Teilnahme am Mar- shall-Plan bedeutete für die Westzonen die Chance zur wirt- schaftlichen Erholung und stellte - noch vor der Gründung der Bundesrepublik – den ersten Schritt zur Integration West- deutschlands in das westliche Wirtschaftssystem dar. Hierzu aber war, das war allen Verantwortlichen klar, die Neuordnung der deutschen Währung und die damit einherge- hende wirtschaftliche Sanierung eine unabdingbare Vorausset- zung. Zugleich fiel mit der Währungsreform eine Entscheidung über die künftige Wirtschaftsordnung, weshalb das Reformwerk auch für die Einheit Deutschlands Konsequenzen haben musste. Die Dringlichkeit des Währungsschnitts wurde von den Siegern unterschiedlich beurteilt, was letztlich zum Alleingang der West- mächte führte. Nachdem die Entscheidung bereits imHerbst 1947 gefallen war, beschlossen die Westmächte dann imMärz 1948, die sowjetische Besatzungszone nicht in ihre Reformpläne einzube- ziehen. Das trieb die Spaltung derWirtschaftsgebiete zwangsläufig voran und mündete 1949 schließlich in der Gründung zweier deut- scher Staaten. Nicht zuletzt dieser Trennungs- und Spaltungsprozess bewog im Übrigen viele Menschen nach ihrer Flucht und Vertrei- bung aus den deutschen Ostgebieten dazu, sich aus der Sowjeti- schen Besatzungszone (SBZ) bzw. der DDR als „SBZ-Flüchtlinge“ nochmals auf den Weg nach Westen zu machen. „Wir wollen Kohle. Wir wollen Brot!“ - Demonstration im „Hungerwinter“ 1947/48 in Krefeld Kalter Krieg „Kalter Krieg“ wird der Konflikt zwischen den Westmächten unter Führung der USA und dem Ostblock unter Führung der Sow- jetunion genannt. Er erstreckte sich über die gesamte Zeit vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis 1989, wobei die „heißeste“ Phase auf die Jahre zwischen 1947 bis 1972 zu datieren ist. Der Konflikt wurde mit na- hezu allen Mitteln, jedoch ohne direkte mili- tärische Auseinandersetzung, als System- konfrontation zwischen Kapitalismus und Kommunismus ausgetragen. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs war von einem Ost-West-Konflikt zunächst nicht viel zu spüren gewesen. Spätestens mit dem Tod des amerikanischen Präsidenten Roo- sevelts am 12. April 1945 zerbrach dann je- doch die Anti-Hitler-Koalition, weil es ein Hauptziel von dessen Nachfolger Truman war, eine Ausbreitung des Kommunismus in Europa zu verhindern. Innerhalb von zwei Jahren verschlechterte sich das Klima zwi- schen den Supermächten USA und Sowjet- union daher dramatisch. Am 5. März 1946 sprach der britische Premier Winston Chur- chill in einer berühmt gewordenen Rede erstmals von einem „eisernen Vorhang“, der Europa teile. Als der amerikanische Journa- list Walter Lippmann 1947 dann ein Buch mit dem Titel „The Cold War“ veröffentlichte, hatte diese Ära auch einen Namen bekom- men. Im gleichen Jahr formulierte der US- Präsident die nach ihm benannte Truman- Doktrin, nach der die USA all jenen Staaten zu helfen versprach, die vom Kommunismus bedroht würden. Der neue Kurs umfasste auch ein giganti- sches Aufbauprogramm für die kriegsge- schädigte europäische Wirtschaft: den Mar- shallplan. Als Stalin den osteuropäischen Ländern die Teilnahme an diesem US-Pro- gramm untersagte, deutete sich die Teilung der Welt an, die dann mit der Bildung des Westblocks und der im Juni 1948 in den Westzonen durchgeführten Währungsre- form ihren ersten formalen Ausdruck fand.

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