Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen
Volkssturmleute mit Ihren Hauptmann Plachta. Bis zum 8.5.1945 hatten die Russen Langenöls nicht betreten. Viele noch anwe- sende Langenölser hatten im letzten Augenblick noch den Ort verlassen, aber es war zu spät, der letzte Aufruf, sich vor den Russen in Sicherheit zu bringen, war sinnlos. Es trat eine große Ratlosigkeit ein, die wenigen Verbliebenen rotteten sich zu- sammen und fragten: „Was sollen wir tun?“ Es war eine erdrü- ckende Stille im Ort. Die Wehrmacht sprengte in der letzten Nacht alle Eisenbahnbrücken, das Fernmeldeamt, auch sollte die große Konsumbäckerei gesprengt werden. Es lagerte dort ein großer Teil Mehl. Nach zähen Verhandlungen mit dem Orts- kommandanten wurde von einer Sprengung abgesehen. Jeder Verbliebene konnte sich in der Nacht einen Sack Mehl holen. Mit meinem Nachbar Witte holten wir uns einen Sack. Er musste aus dem oberen Stockwerke geholt werden, es war ein unbe- schreibliches Drama, was dort los war. In den letzten Wochen vor demWaffenstillstand wurde jedem bewusst, bis auf wenige Unbelehrbare, dass ein Sieg nicht mehr zu erwarten war. Nur wie alles kommen würde, das war das große Rätsel. Es wurde überlegt, wie Hab und Gut gerettet wer- den konnten vor den Russen und vor der Zerstörung sowie die Versorgung mit den notwendigen Lebensmitteln. Wir machten aus mehreren Zentnern Kartoffeln Trockenpulver, um bei einer Flucht alles so leicht wie möglich und dennoch den vollen Wert zu haben. Es wurden Sachen vergraben. Ich hatte im Hause un- ter der Kellertreppe einen schrägen toten Raum, den fand ich für geeignet, hier ein Versteck anzulegen. Es wurden von den verschiedenen Sachen etwas eingelagert: etwas Elektromate- rial, Textilien, auch ein Rundfunkgerät, eine Uhr und viele Klei- nigkeiten und anderes mehr, beteiligt waren die ganze Familie und ein Hausbewohner. Der Zugang war so groß wie eine Tür. Ich mauerte mit einer ganzen Ziegelsteinstärke den Eingang zu und verputze denselben; er war nach Fertigstellung unsichtbar. Später, als der Pole das Haus besetzt hatte, wurde mir ein Fehler fast zum Verhängnis. In dem eingemauerten Raum war der Schornsteinschieber für den Küchenofen. Wenn nicht etwas geändert wurde, kam die Sache zum Vorschein. Ich hatte mir schon einen neuen Schornsteinschieber besorgt zum Einbau, aber geräuschlos konnte das nicht erfolgen, die Polen waren im Haus, die Sache wurde immer dringender. Wir wohnten oben im Dachgeschoß unseres Hauses, der Pole unten mit der Familie. Zufällig erfahre ich, dass die Polen an Himmelfahrt einen Lei- terwagenausflug mit Kind und Kegel nach den Talsperren ma- chen wollten. Das war die einzige Möglichkeit, den Einbau vor- zunehmen, aber wie vor allem geräuschlos? Über die Straße war das Haus der Miliz, die hörten es sofort, wenn gestemmt würde. Also nur mit der Bohrmaschine die Ziegel anbohren und das Loch langsam ausbrechen. Am Morgen fuhren alle ab, wir waren allein im Hause. Ich hatte einen Plan ausgearbeitet, jeder von uns hatte seine Aufgabe bei der Sache. Die alten Mitbewohner im Hause mussten die Miliz genau beobachten, auch meine Kinder, meine Frau machte meinen Handlanger. Ich fing an zu bohren, schon beim ersten Loch war der Bohrer stumpf. Ich hatte ja ein Menge, trotzdem musste ich in der Werkstatt den Versuch machen, nachzuschleifen, aber das Geräusch der Maschine - es ging gut. Ich musste öfter die Arbeit unterbrechen, die Beobachter meldeten Miliz auf der Straße. Ich habe so bis gegen Mittag gearbeitet, dann war das Werk getan, es musste alles vermieden werden, damit ja kein Verdacht geschöpft werden konnte, auch musste ein Teil Ruß, der im Schornstein war, entfernt werden. Die Arbeit war getan, eine große Last war beseitigt. Leider war alles um- sonst. Bis zur Ausweisung war alles noch unversehrt. Im Jahre 1975 bei meiner Reise in die alte Heimat hatte ich den Vorsatz gefasst, das Geheimnis mit dem Polen zu lüften. Ich wollte beim Besuch das Haus noch mal von unten bis oben ansehen, bat den Polen, er war sofort einverstanden. Wir gingen vom Dach- boden bis zum Keller. Mir gab es einen kleinen Schock, als ich vor dem geöffneten Raum stand, er war offen, ausgeräumt, ein Zentralheizungskessel war dort eingebaut. Der Pole merkte sofort meine Betroffenheit, erklärte mir, sie hätten vor mehreren Jahren die Heizung eingebaut und hätten unter der Treppe den geeigneten Raum gesehen und ausgebrochen. Nur durch den Zufall war der Raum mit dem Inhalt gefunden worden, der größte Teil der Sachen sei unbrauchbar gewesen. (…) Viele Einwohner, die in den letzten Wochen, noch im Ort waren, hatten viele Habseligkeiten noch schnell versteckt. Es gab Leute, die hatten im nahen Wald in den Fichtenschonungen Verstecke angelegt. Ein Bekannter hatte in den hohen Rand- kiefern amWaldrand im Gipfel, der ganz dicht war, in Zeltplanen verpackt Sachen aufbewahrt. Es war ja jeder der Meinung, nach dem Kriegsende müsste sich alles wieder beruhigen, bis dahin würde das Versteck standhalten. Uns war ja noch nicht bekannt, dass wir ausgewiesen würden. Russen und Polen ha- ben alle Wälder und Sträucher, wo etwas vermutet wurde, mit Suchgeräten abgesucht und alles gefunden. Tage vor dem 8. Mai rotteten sich schon kleine Gruppen von Ausländern zusammen und diskutierten, sie arbeiteten nicht mehr, waren meistens in der Landwirtschaft beschäftigt gewesen. Vor meinem Haus an der Bundesstraße 6 Richtung Greiffenberg war eine Panzersperre errichtet. Es war ein Ab- rollberg mit großen dicken Stämmen. Durch einen Seilzug konnte dieselbe geschlossen werden. Die Sperre wurde von einem Volkssturm- und einemWehrmachtsangehörigen ständig bewacht. In der Nacht vom 7. zum 8. Mai sprach der Rüstungs- minister Speer, verkündete das Ende und Aufgabe des Wider- standes, ich hörte das noch im Rundfunk. Die Stromversorgung fiel dann aus, ich wusste darüber Bescheid. Ich ging vors Haus zu den Posten an der Panzersperre und sagte, was Speer eben verkündigt hätte. Der Wehrmachtsposten sagte mir, ich wolle 16 AUS DEM LEBEN VON FRITZ STÖCKEL
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