Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen

163 DIE RAHMENBEDINGUNGEN: OST TRIFFT WEST – ANKUNFT IM WESTEN Währungsreform Die ersten Nachkriegsjahre waren von ka- tastrophalen Wirtschaftsverhältnissen, Hun- ger und Not geprägt. Lebensmittel und Gü- ter des täglichen Bedarfs waren streng rationiert und nur gegen Bezugsscheine er- hältlich. Schwarzmarkt und Tauschwirt- schaft blühten. Um den Wiederaufbau und die wirtschaftliche Stabilität Westdeutsch- lands zu gewährleisten, sollten die Westzo- nen in ein US-amerikanisches Hilfspro- gramm, den „Marshall-Plan“, einbezogen werden. Eine Vorbedingung hierfür war eine Währungsreform, weil einer großen Menge weitgehend wertlosen Geldes nur ein ge- ringes Warenangebot gegenüberstand – nicht zuletzt deshalb, weil in Erwartung einer solchen ReformWaren massenhaft gehortet wurden. Obwohl die Westalliierten die Währungsum- stellung unter strenger Geheimhaltung plan- ten, führten die Gerüchte über den bevor- stehenden Schnitt zu einem endgültigen Vertrauensverlust gegenüber der alten Reichsmark: Waren wurden noch stärker zu- rückgehalten und die Lebensmittelversor- gung verschlechterte sich rapide. Am 18. Juni 1948 wurde schließlich die Durchfüh- rung der Reform bereits für den 20. Juni an- gekündigt. Jeder Einwohner der drei West- zonen erhielt zunächst 40 DM „Kopfgeld“, Löhne und Mieten wurden 1 zu 1 umge- tauscht, Sparguthaben entwertet. Die Auswirkungen der Währungsreform wa- ren gravierend: Politisch wurde die deutsche Teilung durch die D-Mark-Einführung in den Westzonen vertieft. Wirtschaftlich zeigte sich hingegen umgehend Erstaunliches: Schon am 21. Juni waren die zuvor gähnend leeren Schaufenster mit zurückgehaltenen Waren gefüllt. Mit der Währungsreform wurde der Grundstein für die Erfolgsge- schichte der D-Mark gelegt, und die im Ok- tober 1949 gegründete Bundesrepublik ging einem phänomenalen Wirtschaftsauf- schwung entgegen – dem deutschen „Wirt- schaftswunder“. „Umzug“ gehandelt habe. Um diese Verschleierungstaktik noch effizienter zu gestalten, ordnete die SMAD bereits imHerbst 1946 eine einmalige finanzielle „Umsiedlerunterstützung“ an: eine So- forthilfe für Bedürftige und Arbeitsunfähige von 300 Mark pro Erwachsenem und 100 Mark für jedes Kind. Eine dem – hier an anderer Stelle zu behandelnden - Lastenausgleich vergleichbare Entschädigung für das verlorene Hab und Gut konnte es in der SBZ bzw. DDR schon deshalb nicht geben, weil keinesfalls der Eindruck entstehen sollte, dass dieser Besitz nicht freiwillig aufge- geben worden war. Auch in der SBZ und ab 1949 dann in der DDR gestaltete sich der Prozess der Integration der Vertriebenen langwierig und schwierig, ohne dass die Probleme jedoch öffentlich benannt werden durften. Stattdessen führte die SED seit 1946 den Begriff des „Neubür- gers“ in den öffentlichen Sprachgebrauch ein, der die vermeintlich blitzschnell gelungene Integration der Geflohenen und Vertriebe- nen in die SBZ-Gesellschaft zum Ausdruck bringen sollte. Die sprachpolitische Wortschöpfung richtete sich insbesondere gegen die in denWestzonen gebräuchlichen Begriffe vom „Ostflüchtling“ und „Heimatvertriebenen“, die ja weiterhin auch auf die Umstände des Verlassens der Heimat verwiesen. Daher waren und blieben in der SBZ und der DDR auch alle landsmannschaftlichen Zusam- menschlüsse und Vertriebenenverbände verboten, um jede öffent- liche Auseinandersetzung mit dem Thema „Flucht und Vertrei- bung“ schon im Keim zu ersticken. In diesem Sinne wurden auch schnell politische Fakten geschaffen, indemdas SED-Regime bereits am 6. Juni 1950 die Oder-Neiße-Grenze als gültige deutsch-pol- nische Grenze anerkannte und jedem mit Bestrafung drohte, der sie in Frage stellte. 123 Während es im Westen nach der Währungsreform ab Ende 1948 zunächst langsam, dann in den 1950er Jahren im Zuge des „Wirtschaftswunders“ immer schneller bergauf ging, stagnierte der wirtschaftliche Aufbau in der SBZ, worunter insbesondere die dorthin Geflohenen und Vertriebenen zu leiden hatten. Aufgrund mangelnder wirtschaftlicher Perspektiven und/oder politischer Repressionen entschlossen sich viele der zunächst in die SBZ Ver- triebenen, ihre Flucht fortzusetzen und in eine der Westzonen bzw. in die Bundesrepublik überzuwechseln. Das hatte naturgemäß auch gravierende Folgen für die Bundes- republik, wo man sich plötzlich mit einer neuen, nun aber gänzlich anders bedingten und motovierten Welle von Neuankömmlingen – eben den „SBZ-Flüchtlingen“ - konfrontiert sah. Hatte man vie- lerorts gehofft, nach Beendigung der organisierten Vertreibungen in dieser Hinsicht das Schlimmste überwunden zu haben, stieg die Zahl der Flüchtlinge Ende der 1940er Jahre durch denmassenhaften Zuzug aus der DDR erneut erheblich an und führte zu neuen Eng- pässen und Problemen. 124 1961, als zum letztenMal bei einer Volks- zählung nach dem Flüchtlings- und Vertriebenenstatus gefragt wurde, lag der Anteil der Flüchtlinge und Vertriebenen schließlich bei 21,5 Prozent. Damit war jeder fünfte Bewohner der Bundesre- publik ein Flüchtling bzw. Vertriebener oder er stammte von diesem Personenkreis ab. Es handelte sich zweifellos um eine Bevölkerungs- verschiebung bis dahin unbekannten Ausmaßes. Mit dem 1953 verabschiedeten Bundesvertriebenengesetz wur- den Ausweise eingeführt, die den jeweiligen Status der Betroffenen und damit auch die rechtliche Grundlage für weitere Vergünsti- gungen festlegten: Als Heimatvertriebene galten nunmehr Perso- nen, die spätestens am 31. Dezember 1937 ihrenWohnsitz in dem Staat hatten, aus dem sie vertrieben worden waren. Sie erhielten den „Vertriebenenausweis A“. Menschen, die zwar Vertriebene wa- ren, diese Bedingung aber nicht erfüllten, erhielten den „Vertrie- benenausweis B“, während für „SBZ-Flüchtlinge“, die nicht zugleich Heimatvertriebene oder Vertriebene waren, der „Vertriebenenaus- weis C“ ausgestellt wurde. 125

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