Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen

193 VOR ORT: JÜCHEN NACH 1945 venzerrüttenden ständigen Bombenangriffe aus, aber die quälende Ungewissheit der Zukunft setzte diesem verständlichen Ausdruck der überstandenen Gefahren einen mächtigen Dämpfer auf. Die Soldaten drangen in jedes Haus ein und forderten die Bewohner auf, die Räume zu verlassen und auf demMarktplatz anzutreten.“ Hier, so steht es zumindest in der Gemeindechronik, mussten die Jüchener fünf Stunden ausharren, bis sie ohne weitere Erklärung oder Anweisung wieder nach Hause entlassen wurden. In der Zwi- schenzeit sei aber „jedes Haus abgesucht“ worden, weshalb die Be- wohner danach „große Geldsummen, Schmucksachen und andere Gegenstände“ vermisst hätten. Ob hier seitens der US-Armee tat- sächlich systematisch geplündert wurde, wie es der Chronist na- helegt, muss beimderzeitigenWissensstand offen bleiben, erscheint mit Blick auf andere Orte amNiederrhein und den Erinnerungen der hierzu befragten Zeitzeugen aber eher unwahrscheinlich. Während sich die Kampftruppen nach kurzer Rast auf den wei- teren Vormarsch Richtung Rhein begaben, richteten sich in den einzelnen Orten lokale Einheiten der künftigen Besatzungsmacht ein. So bezogen sie in Jüchen am 29. Februar mehrere Häusern als feste Quartiere, erlaubten den Bewohnern zunächst aber noch, ebenfalls weiterhin in ihren Häusern zu wohnen. Das änderte sich mit Blick auf die seitens der Besatzer dauerhaft benötigten Gebäude aber bald grundlegend. Man habe, so der hierüber offensichtlich erboste Ortschronist, „jeden Augenblick“ mit neuen Aufforderun- gen zur Räumung von Häuser und „oft ganzer Straßen“ rechnen müssen, was „fortwährend neue Umzüge zu Nachbarn oder Ver- wandten innerhalb des Dorfes“ zur Folge gehabt habe. Insgesamt sei die Einstellung der Besatzer zur Bevölkerung in der ersten Zeit „zurückhaltend und mitunter von Angst diktiert“ gewesen, was wohl nicht zuletzt auf die vorherige „zähe, hartnäckige Verteidigung des deutschen Soldaten“ zurückzuführen gewesen sei. Auch die Bedburdycker mussten unmittelbar nach dem alliierten Einmarsch zahlreiche Häuser räumen. „Den ganzen Monat März finden in Abständen Räumungen statt, auch die Schule räumte.“ Erst Mitte April kehrte – soweit die Nutzung des Begriffs unter den Umständen der unmittelbaren Nachkriegszeit erlaubt ist - langsam wieder Normalität ins Dorf zurück. „Alles ist wieder im alten Geleise und fleißig dabei, alles wieder in Stand zu setzen, was durch Kriegseinwirkungen gelitten hat. Die Gärten sind umgegra- ben und zum Teil schon besät und bepflanzt. 236 Die Nachkriegszeit und das Leben unter demBesatzungsregime nahmen ihren Anfang, der in den ersten Tagen und Wochen von Restriktionen gekennzeichnet war. So galt in allen Orten ein stren- ges Ausgangsverbot, nach dessen Vorgaben etwa die Jüchener sich zunächst lediglich vormittags zwischen 9 und 12 Uhr außerhalb ihrer Häuser aufhalten durften, bis der zeitliche Rahmen dann „nach einigen Wochen“ auf den Zeitraum zwischen 7 und 18 Uhr ausgeweitet wurde. Jeder Ortsansässige erhielt einen Ausweis und durfte sich von Jüchen nicht weiter als sechs Kilometer entfernen, was zugleich bedeutete, dass die benachbarten Städte nicht aufge- sucht werden durften. 237 Zunächst hatte am aber vor Ort sicherlich genug zu tun. Der Jüchener Marktplatz, vermutlich im Winter 1940/41 Rechts: Beschlagnahmeverfügung des amerikanischen Ortskommandanten für das Schulgebäude in der Jüchener Bachstraße, 1. April 1945

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