Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen

196 DIE NACHKRIEGSZEIT IN JÜCHEN Gräben ziehen, doch kam es nicht dazu. Nach der Schlacht er- fuhr man, dass 50 Mann die Gräben besetzt hielten, haupt- sächlich von der Polizei, und die sollten dann mit Panzerfaust und ihren Gewehren die Masse der Feinde aufhalten, ja nur aufhalten, damit die Anführer noch einen Tag länger sich halten konnten. Was größer ist, der Wahnsinn oder das Verbrechen, weiß man nicht. Auf diese Weise hat allerdings das Dorf weniger Schaden gelitten. Nur ein Toter (Konrad Birrewitz), außerdem wahr- scheinlich Josef Wassenhoven, der nicht in den Keller ging (Ei- gensinn), sondern in der Küche blieb und dort durch einen Gra- natsplitter getroffen wurde. Man brachte ihn zum Verbandsplatz nach Königshoven und hat nicht mehr erfahren, was aus ihm geworden ist. Schwer verwundet wurde Frau Jakob Posteis (Maria Tönnessen) durch einen Schuss in die Schulter, wurde auch zu einem Verbandsplatz im Mühlenhäuschen gebracht, wohin weiter, weiß man nicht. Getötet wurde auch ein Flüchtling aus Elmpt namens Ludwig, der bei Familie Kessel war. Er ging hinaus zur Alleestraße (Polizei Zitzen) und wurde dort getroffen, begraben am 4. 3. auf dem evangelischen Friedhof Garzweiler. Man kannte ihn nicht, erst nachher wurde er vermisst, und nach den Aussagen der Angehörigen ist anzunehmen, dass er der unbekannte Tote war. Viele Häuser sind zerstört und zum Teil ganz unbewohnbar. Die Kirche hat besonders am Turm und an den Fenstern Scha- den gelitten, die Fenster auch durch den Luftdruck seitens der schweren Geschütze der Amerikaner, die dann am Dorfrand aufgestellt wurden und auf die Deutschen in Richtung Greven- broich-Neuss schossen. Kein Fenster ist mehr ganz. Schade, die Fenster waren so schön! Am Turm ist unterhalb des Helmes ein großes Loch nach der Südseite. Auch an der Nordseite, also durch die deutsche Artillerie, ist Schaden entstanden, und kleinere Löcher bis hinauf zur Spitze. Das Dach auf der Sakristei ist beschädigt. Im Innern der Kirche sind alle drei Altäre, Kom- munionbank, Kanzel und Beichtstühle unversehrt geblieben. Dann aber kamen Einbrecher, haben alles durchwühlt, aber nicht viel mitgenommen, hauptsächlich Kerzen. Das Pfarrhaus hat nur Dachschaden und zerbrochene Fens- terscheiben, am Mauerwerk einzelne kleine Schäden an der West- und Südwestseite. Die Vikarie hat mehr Schaden, be- sonders am Dach. Das Kloster hat nicht viel gelitten, trotzdem es ja an der Landstraße, am Ausgang des Dorfes liegt. Ein deutscher Unteroffizier hat da noch mit der Panzerfaust an der Kapelle ein großes Loch in der Mauer verursacht. (…) Am Dienstagabend, als die Amerikaner abgezogen waren, kamen denn auch bald die Garzweiler vorsichtig aus ihren Kel- lern. Es waren trotz der sogenannten Zwangsevakuierungen am Sonntag/Montag noch viele im Dorf geblieben. Dienstag früh, so war am Abend ausgegeben worden, sollten fünf Autos kommen, zum letzten Transport. Daraufhin hatten sich schon viele zur Abreise entschlossen. Andere waren so aus sich ge- gangen mit Handwägelchen und dem Nötigsten darauf. Aber vergebens warteten am Dienstagmorgen die Leute mit ihren Sachen an der Wirtschaft Mertens auf die versprochenen Au- tos: kein Brennstoff. Einige machten sich doch so auf die Land- straße; wie weit mögen sie gekommen sein? Wann wurden sie von den Amerikanern eingeholt? Wie mag es ihnen unterwegs ergangen sein?“ So wie hier in der Nähe von Berlin sollten auch die Garzweiler Volkssturmmänner mit Panzerfäusten die US-Truppen aufhalten, April 1945

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