Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen
207 VOR ORT: JÜCHEN NACH 1945 sourcen konkurrierten, war Jüchen auf gänzlich andere Art und Weise und in erheblich größerem Umfang von einer massiven Wohnraumverknappung betroffen. Die alliierten Truppen sahen sich bei ihremVormarsch durch das linksrheinische Gebiet mit ei- nem Phänomen konfrontiert, das sie zuvor in seiner Dimension und hinsichtlich der mit ihm verknüpften Probleme so nicht in ihren Planungen berücksichtigt hatten. Sie trafen nämlich allerorten auf große Massen von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, die es in einem ersten Schritt unterzubringen und zu versorgen galt. Dabei erwies sich sehr bald, dass sich diese nunmehr als „Dis- placed Persons“ (DPs) bezeichneten Menschen keinesfalls leicht lenken ließen oder den Siegern gegenüber dankbar auftraten. Sie verhielten sich auch nicht weitgehend ruhig und friedlich, sondern handelten nach oft jahrelanger Internierung und Fronarbeit spontan und waren insgesamt überaus schwer zu kontrollieren. Bereits un- mittelbar nach ihrem Einmarsch mussten die Militärs erste Fälle von Plünderungen, Raubüberfallen und Mord zur Kenntnis neh- men, die danach an Zahl zunahmen. Bereits bis Ende März 1945 waren im Linksrheinischen rund 145.000 DPs in provisorischen Sammellagern untergebracht worden, in denen sich nach zeitge- nössischen Beobachtungen oftmals eine Art exzessiver „Ferien- stimmung“ breitmachte, die sich aus einer Kombination von Aus- gelassenheit, Hunger und Rachebedürfnis speiste. Bis Juni 1945 war die Zahl auf etwa 170.000 DPs angewachsen, von denen mit mehr als 96.000 der größte Teil in 97 Lagern im Regierungsbezirk Düsseldorf untergebracht war. 242 Es ist nachvollziehbar, dass die Alliierten die befreiten Zwangs- arbeiterinnen und Zwangsarbeiter bevorzugt behandelten und sich mehr um sie kümmerten, als um die deutsche Zivilbevölkerung. Die Zwangsverschleppten und Lagerüberlebenden der NS-Zeit wurden dabei von den Vereinten Nationen, genauer der UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration), be- treut 243 Sie sorgte für eine möglichst angemessene Lagerunterbrin- gung der DPs sowie für deren Versorgung mit Gegenständen des täglichen Bedarfs und Nahrungsmitteln, deren Menge 2.000 Ka- lorien pro Tag nicht unterschreiten sollte. Dabei bedienten sich sowohl die lokalen Militärverwaltungen als auch die UNRRA- Mitarbeiter naheliegender Weise der Ressourcen, die sie vor Ort vorfanden: Sie beschlagnahmten Räumlichkeiten für Lager, for- derten von der Ortsbevölkerung die Abgabe von Gebrauchsge- genständen und requirierten vor Ort die für die DP-Lager erfor- derlichen Lebensmittel. Bei all dem setzten sie die massive Unterstützung seitens der jeweiligen Verwaltungen wie selbstver- ständlich voraus oder forderten sie mit großer Vehemenz ein. 244 So wurden die Kommunen immer wieder zu Sammlungen und Abgabe unterschiedlichster Güter aufgefordert, wie beispielsweise am 23. Juli 1945, als die Grevenbroicher Kreisverwaltung ein Schreiben der Militärregierung an die Kommunen weiterleitete, in dem die „Versorgung der Fremdarbeiter mit Möbeln und sons- tigen Gegenstände“ aus deren Mitteln und Möglichkeiten ange- kündigt wurde. 245 Während von solchen Requirierungen und erzwungenen Samm- lungen praktisch jede Stadt und jedes Dorf am Niederrhein be- troffen war, wurden einige Orte sehr viel stärker in Anspruch ge- nommen, weil sie zum Standort für ein DP-Lager bestimmt wurden. In dieser Hinsicht traf es etwa das kleine, heute zu Erkelenz Französische Kriegsgefangene im Hof der Firma Busch vor ihrem Rücktransport in ihr Heimatland, 5. März 1945
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