Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen
21 AUS DEM LEBEN VON FRITZ STÖCKEL Häuser waren fast alle besetzt, nur mein Haus noch nicht. Ich sah den Tag kommen, wo auch ein Pole einziehen würde. Ich machte mir vorsorglich für alle Türen Ersatzschlüssel, bewahrte sie außerhalb des Hauses auf. Auch verschiedenes Material hatte ich anderweit verlagert. Ein Kachelofenfabrikant er war schon lange im Ort, er war Pole, bot mir an, etwas bei ihm un- terzubringen. Es war alles umsonst. (…) Der Spätsommer war da, es war sehr schöne Wetter. Wir waren gerade fertig mit dem Mittagessen. Da kamen 2 Polen in Uniform herein. Einer konnte perfekt unsere Sprache. Er erklärte mir, er sei jetzt der Besitzer des Hauses. Wir sollten sofort ein Teil unserer Habseligkeiten unter seiner Aufsicht zusammenpacken und uns mit den Sachen in das alte Nach- barhaus Schmidt begeben, dort könnten wir wohnen. Wir mussten Folge leisten, ob wir wollten oder nicht. Er verlangte sämtliche Schlüssel, soweit sie nicht in den Türen steckten, besichtigte alle Räume und schloss sie ab. Musste mit in die Werkstatt gehen, dort verlangte er von mir, sofort eine Liste über alles vorhandene Material zu machen. Ich gab keine Ant- wort und befolgte seine Anordnung nicht. Wir sollten weiter arbeiten, das Abrechnen würde er machen. Wir würden Lohn erhalten. Mir war, als wäre es ihm etwas peinlich, er war etwas unsicher. Den üblichen Zettel an der Haustür hatte er schon angebracht. Sein Begleiter hat in der ganzen Zeit kein Wort gesprochen. Nach einer Stunde reiste er ab, er sagte, er käme Morgen wieder. Meine Hausbesetzung erfolgte ohne die Miliz, dadurch war es erträglich, was Schikanen anbelangt, die von der Milz verübt wurden. Meine Mitarbeiter waren der Meinung, wir sollten das Material mitnehmen in das andere Haus. Ich war anderer Meinung, wir machten es nicht, bis auf etliche Kleinigkeiten. Ich hatte ja von allen Türen Nachschlüssel. Wir konnten dadurch noch verschiedene Sachen herausholen. Der ehemalige Soldat, mein Mitarbeiter, konnte es nicht ver- stehen, dass ich aus dem Haus musste. Ohne mein Wissen machte er sich auf zu dem Kommandanten in Wingendorf. Dem berichtete er, was geschehen war, vor allem, dass ich aus dem Haus musste. Der Kommandant sagte zu, sich um die Angelegenheit zu kümmern. Schon am andern Tag kam der Pole und sagte, wir könnten wieder in das Haus. Im Dach- geschoss wohnte ein älteres Ehepaar, die sollten ein Zimmer abtreten. 2 Räumen waren noch frei, wo früher die Lehrlinge ihre Unterkunft hatten. Kochen sollten wir zusammen. Die alten Leute waren froh über diese Lösung, sie waren nicht al- lein. Ich kaufte mir von dem Ofenfabrikanten einen transpor- tablen Kochofen und baute mir den in einem Zimmer ein. Wir konnten selbst Kochen und Heizen. Wir waren wieder umge- zogen. Hofften, im Dachgeschoß unbehelligt wohnen zu kön- nen, was auch bis zur Vertreibung war. Nach Tagen kam er mit der ganzen Familie, Frau und 2 Kindern. Die Frau konnte auch etwas unsere Sprache, sie war Jahre in Deutschland als Arbeiterin gewesen bei einem Bauern, und sie hatte es gut gehabt, wie sie mir mal erzählte. Auch die Eltern der Frau kamen, es waren alte Leute. Ein Bruder der Frau kam noch dazu. Das war ein gefährlicher Mann, dem musste man aus dem Weg gehen. Er bekam öfter Tob- suchtsanfälle, da hätte er am liebsten alle Deutschen umge- bracht. Mir wurde gesagt, er sei im KZ-Lager gewesen, sei von der SS sehr misshandelt worden, das wären die Folgen. (…) Wir machten unsere Arbeit, bekamen jede Woche etwas Lohn, Zloty. (…) Die Austreibung wurde bekannt, nur wusste keiner den Zeitpunkt. Der Pole machte jetzt den Herren, wir machten die Arbeit, er nahm die Aufträge an und rechnete ab. (…) Tage und Wochen vergingen. Das Weihnachtsfest 1945 war da. Es gab da keine Geschenke wie zu früheren Zeiten. Wir waren dankbar, dass wir satt zu Essen hatten und ein warmes Zimmer, auch unsere Ruhe hatten. Viele unserer Leute hatten das nicht. Ich war in den Tagen krank und musste das Bett hü- ten. Am Heiligen Abend kam der Pole und bat uns zum Abend- essen. Meine Frau und die Kinder wollten nicht. Er kam aber mehrere Male und bat darum, so gingen sie dann doch zum Essen. Ich konnte nicht. Das Fest war für uns sehr bedrückend, die Ungewissheit lastete auf einem. (…) Ich machte mir auch ernstlich Gedanken über unsere Aus- weisung. Nach allem, was man hörte, könnte jeder 40 kg Ge- päck mitnehmen. Die Tatsache bei den Transporten war eine ganz andere, die Polen nahmen den Leuten schon vor der Ab- reise was sie nur konnten ab. Am Spätnachmittag des Ostersonnabends im Jahre 1946 wurde ich von meinem Polen Sikora ersucht, in seine Wohnung zu kommen. Ich folgte diesem Ersuchen. Im Zimmer waren Si- kora und noch drei polnische Herren. Einer war mir bekannt. Er war auf dem Bürgermeisteramt und hatte großen Einfluss. Mir wurde ein Platz am Tisch angeboten, der noch frei war. Sikora eröffnete das Gespräch und machte folgenden Vorschlag: Ich möchte mir überlegen, ob ich nicht für Polen optieren wolle, also die deutsche Staatsangehörigkeit gegen die polnische tau- schen möchte. Es würden Kosten von ca. 1.500 Zloty entstehen, die müsste ich nicht zahlen, denn sie würden von ihnen getragen. Ich hätte dann viele Vorteile, bekäme die polnischen Lebens- mittelkarten für die ganze Familie und würde auch nicht ausge- wiesen. Ein solches Angebot hatte ich nicht erwartet. Ich war erregt. Der Schweiß trat mir auf die Stirn. Ich musste schnell handeln. So antwortete ich: „Ich bin Deutscher und bleibe Deut- scher. In der größten Niederlage meines Volkes wäre es ein Verrat von mir, wenn ich anders handeln würde. Den Leidensweg meines Volkes werde ich mitgehen in der Hoffnung, dass uns der Herrgott auch wieder mal die Sonne scheinen lassen wird. Sie, meine Herren Polen, haben in der Niederlage ihrer Nation treu zu ihrem Volk gehalten. Ich habe große Achtung vor Ihnen. Ich bitte Sie um Verständnis für meine Haltung.“
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