Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen
Vieh ertrunken, Straßen verwüstet undHäuser beschädigt worden. „Im Volk hört man allenthalben den resignierten Satz: ‚Wir sind von Gott und den Menschen verlassen.‘“ Vor diesem desaströsen Hintergrund zeige die Bevölkerung „nur noch Interesse dafür, wie sie ihre Lebenshaltung auf jede erdenkliche Art undWeise“ sichern könne. 310 Dieses Bild wurde gut eine Woche später nochmals be- kräftigt. Laut einem im Rahmen der Bürgermeisterversammlung am 19. März 1947 erstatteten Bericht hatte das Hochwasser „in vielen Gemeinden einen derartigen Umfang angenommen, dass Straßen und Keller sowieWohnungen vomWasser überflutet wur- den, wodurch Lebensmittel und Wohnungseinrichtungen verdar- ben“ und viel Vieh ums Leben kam. Damit wurde in vielen Fällen auch noch das Wenige vernichtet, was den Menschen geblieben war. Das wurde spätestens dann schmerzlich bewusst, als nach dem Abklingen des Hochwassers die notwendigsten Reparaturen aus- geführt werden sollten, denn es fehlten allenthalben Baustoffe zur Reparatur und Brennmaterialien zum Trocknen der Wohnräume. Die Verantwortlichen hofften trotz der im Zuge der „Hoch- wasserkatastrophe“ erheblich gestiegenen „Erregung und Nervo- sität“ auf eine jahreszeitbedingte Entspannung der ernsten Lage. Tatsächlich konnte im Rahmen einer Sitzung der Jüchener Amts- vertretung am 22. Mai 1947 unter demTagesordnungspunkt „Aus- sprache über die Ernährungslage“ festgestellt werden, „imMoment“ sei die Belieferung mit Brot etwas besser geworden, weil es gelungen sei, die „furchtbare Krise“ durch freiwillige Getreideabgaben der Bauernschaft „einigermaßen“ zu überbrücken. Zugleich richtete Amtsdirektor Lesaar nochmals einen Appell an die gesamte lokale Landwirtschaft, solche Hilfeleistungen „als ihre vaterländische Eh- renpflicht zu betrachten“, aus der kein unmittelbarer persönlicher Nutzen erwachsen würde. So wollte er eine demWinter 1946/47 vergleichbare Extremsituation verhindern, denn es müsse, so Lesaar, unbedingt dafür gesorgt werden, dass jeder Jüchener Haushalt „im Herbst mit zwei Zentnern Winterkartoffeln beliefert werden könne“. 311 Davon blieb man aber noch längere Zeit weit entfernt. 312 Schon Anfang April war für das Kreisgebiet weiterhin von „Engpässen unterschiedlicher Art“ und einer „großen Ernährungskrise“ be- richtet worden. „Wenn es auch noch nicht zu Streiks kam, so muss doch mit Hungerdemonstrationen für die Folgezeit gerechnet wer- den, wenn nicht gründliche Hilfsmaßnahmen erfolgen“, warnte der Landrat am 1. April 1947. Zwei Wochen später wurde die Lage weiterhin als „trostlos“ beurteilt. „Die Bevölkerung befindet sich 236 VOR ORT: JÜCHEN NACH 1945 Hochwasser in Garzweiler, Frühjahr 1947
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