Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen
238 VOR ORT: JÜCHEN NACH 1945 der im Vergleich zur Gesamtbevölkerung deutlich besser gestellten Bauern bestimmte. Wenn ihr Verhalten auch alles andere als soli- darisch und hilfsbereit war, so war es in Teilen zumindest nachvoll- ziehbar, denn aufgrund der weitgehenden Wertlosigkeit der deut- schenWährung hatte sich schon in Kriegszeiten ein zweiter Markt mit eigenen Preisen und „Währungen“ herausgebildet, der sich in der Nachkriegszeit als „Schwarzmarkt“ weiter entwickelte, aber nur jenen zugänglich war, die über entsprechende Geldmittel oder Tauschgegenstände verfügten. Auch imGrevenbroicher Kreisgebiet galten vielfach die für den „Normalverbraucher“ völlig uner- schwinglichen Konditionen dieses illegalen Kauf- und Tausch- markts, weil immer mehr Nahrungsmittel und Gebrauchsgegen- stände des täglichen Bedarfs in den Geschäften nicht mehr auf Bezugsschein und zu Normalpreisen zu haben waren. Nach Beob- achtungen der Kreisverwaltung entwickelten sich die Schwarz- marktpreise im Jahr vor der dringend erforderlichenWährungsre- form folgendermaßen: 317 Es war natürlich weitaus reizvoller, ein Kilogramm Kartoffeln für 8,- RM als für 12 Pfennige zu verkaufen, und noch erstrebens- werter erschien es vielen, Nahrungsmittel gegen kostbare Gegen- stände einzutauschen, die insbesondere aus den umliegenden Groß- städten den Weg in die kleinen Dörfer und insbesondere auf die Bauerhöfe fanden. Die Erzählungen über angeblich mit Perser- teppichen ausgelegte Kuhställe sind weit verbreitet. Und selbst, wenn es hier zahlreiche Übertreibungen gibt, waren die Bauern die eindeutigen Gewinner dieser Form desWirtschaftens auf einem zweiten, aber eben illegalenMarkt. Auf der anderen Seite – darauf wird an gegebener Stelle zurückzukommen sein – waren gerade sie häufig auch jene, die denNeuankömmlingen aus dem deutschen Osten mit der größten Ablehnung gegenübertraten. Wie eine Erlösung wirkte dann im Juni 1948 der lang ersehnte Währungsschnitt. „Es geht wieder aufwärts!“, jubelte etwa Haupt- lehrer Wagner in der Chronik der katholischen Volksschule in Gierath. Die Währungsreform bringe endlich „stabile Lebensver- hältnisse“ „Plötzlich sind die Läden voller Waren, Schulutensilien jeder Art sind überall wieder zu haben. Auch der Lehrer vermag mit seinem Geld nun wieder das Nötigste zum Lebensunterhalt zu kaufen.“ 318 Und endlich spielte nun auch die Witterung mit. Die Kartoffelernte, so hieß es im Herbst 1948 beispielsweise in der Chronik der evangelischen Schule Hochneukirch, sei „so reich- lich ausgefallen wie seit Jahren nicht“ mehr, so dass erstmals wieder jeder ortsansässige Haushalt seinen Bedarf an Einkellerungskar- toffeln habe decken können. 319 – Es konnte endlich „aufwärts“ ge- hen! SCHWARZMARKTPREISE IM KREIS GREVENBROICH 1947/48 WARE NORMAL SCHWARZMARKTPREISE IN RM Juli 1947 Nov. 1947 März 1948 Brot (Kilo) 0,36 40,- 40,- 15,- Mehl/Getreide (Kilo) 0,38 40,- 40,- 25,- Butter (Kilo) 3,60 200,- 230,- 300,- - 380,- Speiseöl (Liter) 0,94 269 318 337 Kartoffeln (Kilo 0,12 7,- 8,- --- Milch (Liter) 0,24 4,- 4,- 5,- Fleisch (Kilo) 2,20 40,- 40,- 60,- Fisch (Kilo) 2,00 unbekannt unbekannt --- Bekanntmachung der Kreisverwaltung zur Währungsreform und der Auszahlung des „Kopfbetrages“, Juni 1948
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