Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen
244 VOR ORT: JÜCHEN NACH 1945 Kriegsende und Unterrichtsbeginn Der Zustand der Volksschulgebäude bei Kriegsende war in einigen der hier zu betrachtenden Orte bemitleidenswert. Das rührte ei- nerseits von Kampfhandlungen her, die während der Besetzung durch alliierte Truppen stattgefunden hatten. „Beim Einmarsch der Amerikaner in Jüchen wurden Lehrer- und Konferenzzimmer der Volksschule aufgrund des durch Granatenbeschuss hervorge- rufenen Einsturzes von Dach und Decken völlig zerstört“, hieß es etwa so knapp wie deutlich in der Schulchronik. 334 „Wie sieht unser schönes neues Schulgebäude aus?“, fragte eine sichtlich entsetzte Lehrerin der katholischen Volksschule in Gierath. „Zwei Artille- rie-Treffer haben riesige Löcher in die Mauern gerissen und die obere Treppe zerstört.“ Zugleich wies sie aber auch auf den Um- stand hin, dass die Gebäude der Dorfschulen am Niederrhein in den Jahren zuvor erheblich gelitten hatten, ohne dass im Verlauf des Krieges irgendetwas zu ihremUnterhalt unternommen worden wäre. Sämtliche Räume, sowurde EndeMai 1945 festgestellt, würden neben den Zerstörungen der letzten Kriegstage „noch die Spuren der vielen Einquartierungen“ tragen: „Wehrmacht, Organisation Todt, HJ-Schanzer, Amerikaner“ – die Aufzählung liest sich wie eine Kurzgeschichte des Krieges auf Ortsebene. 335 Trotz aller Widrigkeiten wurde der Unterricht für die vier un- teren Klassen in den meisten Dörfern Mitte August 1945 wieder aufgenommen; die vier Oberklassen folgten in aller Regel drei bis vierWochen später. So wurden inHolz ab dem 15. August zunächst 54 Kinder (33 Jungen und 21 Mädchen) der Unterstufe, ab dem 10. September dann insgesamt 72 Schülerinnen und Schüler un- terrichtet, deren Zahl sich mit dem neuen Schuljahr im Frühjahr 1946 schließlich auf 102 erhöhte. Sie alle wurden bis zum 1. Juli 1947 von einer einzigen Lehrkraft betreut! 336 Auch in Gierath wa- ren die personellen Engpässe gravierend, was dazu führte, dass die Oberstufe der Dorfschule hier erst am 11. Oktober 1945 ihren Betrieb aufnehmen konnte, wobei Unter-, Mittel- und Oberstufe von einer einzigen Lehrerin täglich nacheinander im Schichtbetrieb jeweils nur zwei Unterrichtsstunden erteilt werden konnten. „Hof- fentlich schickt man uns bald einen Lehrer!“, flehte die sichtlich überforderte Pädagogin. Tatsächlich kam am 1. Dezember des Jah- res mit Hauptlehrer Wagner ein neuer Schulleiter nach Gierath - bezeichnenderweise ein Flüchtling aus Bromberg. Erst im August 1947 konnte dann die 3. von vier Planstellen besetzt werden. Bis das Kollegium komplett war, sollte es gar noch bis zum Schuljahr 1949/50 dauern. 337 Auch in Bedburdyck, wo sich die Zahl der Volksschüler am 1. Oktober 1945 auf 185 belief, nahm aufgrund der politischen Belastung früherer Lehrkräfte mit der 1913 gebo- renen Stefanie Kurzbach am 1. November des Jahres ein „Ost- flüchtling“ aus Schlesien die Arbeit als Lehrerin auf. Sie war mit ihren Eltern und ihrem 5-jährigen Sohn an den Niederrhein ge- kommen. 338 Die personellen Engpässe resultierten nicht zuletzt aus der poli- tischen Vergangenheit zahlreicher, Lehrkräfte - insbesondere der männlichen. 339 So durfte in Gierath der Unterricht auf Befehl der Militärregierung zunächst nicht aufgenommen werden, weil erst ab- zuwarten sei, „welche Lehrpersonen nach Prüfung ihrer politischen Haltung bzw. ihres Fragebogens zugelassen“ würden. Lehrerin Brus- ten nutzte als einzige verfügbare Lehrkraft die unterrichtsfreie Zeit, um mit Müttern schulpflichtiger Kinder das Schulgebäude aufzu- räumen und zu reinigen. Als sie danach allein vor rund 90 Schüle- rinnen und Schülern stand, kam nochmals erschwerend hinzu, dass weder Lese- noch Rechenbücher oder andere Lehrmittel vorhanden Die katholische Volksschule in Gierath, undatiert Die katholische Volksschule in Holz, um 1942
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