Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen
247 VOR ORT: JÜCHEN NACH 1945 Der Jüchener Schulkomplex im Jahr 1959. Vorn die 1951 erbaute Turnhalle. Blick auf Otzenrath mit katholischer Kirche und dem Rittergut Leuffen. Rechts unten sieht man die katholische Volksschule mit Schulhof, 1950er Jahre Wiederaufnahme des Unterrichts lag hinsichtlich der Schulge- bäude vieles, in vielen Dörfern nahezu alles im Argen, ohne dass etwas Konstruktives unternommen worden wäre. Es blieb zumeist bei Verlautbarungen wie etwa jener des Hochneukircher Gemein- dedirektors Lesaar, der die Ratsmitglieder in einer Sitzung am 29. Juli 1946 „auf die dringende Notwendigkeit der Instandsetzung der Schulgebäude“ aufmerksammachte. 347 Die Bedburdycker Ge- meindevertretung beauftragte die Verwaltung Ende September 1946, „für die Inordnungbringung der Schulen besonders besorgt zu sein“. 348 Viel änderte sich dadurch zunächst nicht, wobei insbesondere die hygienischen Verhältnisse in den Schulen zumeist jeder Be- schreibung spotteten. So berichtete Kreisamtsarzt Pedretti dem Oberkreisdirektor am 13. Januar 1947, dass der „Zustand der Aborte der meisten Schulen des Landkreises sehr schlecht“ sei. „Sobald genügendMaterial zur Verfügung steht, muss die Instand- setzung der Aborte aus hygienischen wie aber auch aus ethischen Gründen als vordringlich in Angriff genommen werden. Die Ver- säumnisse der letzten 20 Jahre wirken sich allmählich zu einer Ge- fahr für die Kinder und die Umgebung aus.“ 349 Als Beispiel für sol- che Zustände kann die Volksschule in Holz dienen, deren hygienischen Verhältnisse sich offenbar katastrophal gestalteten. Laut Schulchronik hatte man die Toiletten bei Kriegsende ganz einfach („mit Inhalt“) abgeschlossen und danach ein Jahr lang nicht mehr geöffnet. Erst im Juni 1946 waren es dann die Schul- kinder selbst, die diesen unhaltbaren und gesundheitsgefährdenden Zustand beseitigten, indem sie die Toiletten „nach demUnterricht“ in Eigenregie reinigten. 350 In Otzenrath dauerte es noch weitaus länger, bis die evangeli- schen Kinder die Toiletten ihrer Schule gefahrlos nutzen konnten. NochMitte 1948 war die Toilettenanlage laut Schulchronik näm- lich weiterhin in einem derart „menschenunwürdigen Zustand“, dass deren Sanierung als „dringendstes Erfordernis“ eingestuft wurde. „Dringend“ und „machbar“ waren in jenen Jahren – auch noch nach derWährungsreform– jedoch oftmals Begriffe aus zwei verschiedenen Welten. So gingen in Holz drei weitere Jahre ins Land, bis Mitte 1951 endlich die desolate Toilettenanlage wieder in einen menschenwürdigen Zustand versetzt werden konnte. 351 Die Schultoiletten waren jedoch lediglich die – aufgrund der gesundheitlichen Gefahren allerdings bedeutsame – Spitze des Eis- bergs. Sanierungsbedarf gab es in allen Schulgebäuden in überrei- chem Ausmaß, ohne dass man die Arbeiten zur allgemeinen Zu- friedenheit hätte durchführen können. So beauftragten die Bedburdycker Gemeindevertreter die Verwaltung am 10. Oktober 1947, „mit allenMitteln zu versuchen, wenigstens die dringendsten Reparaturen“ an der Gierather Schule auszuführen. Gleichzeitig wurde einem Antrag von Hauptlehrer Wagner zugestimmt, der ein bezeichnendes Licht auf die damalige Lage wirft. Der hatte das Gremium nämlich darum gebeten, „dem Ostflüchtling P. die unbenutzten Kellerräume als Notwohnung zu vermieten“, wenn er sie in Eigenleistung bewohnbar machen und darüber hinaus künftig die Reinigung des Schulgebäudes übernehmen würde. Of- fen blieb nicht nur, mit welchenMaterialien der mittellose Flücht- ling das bewerkstelligen sollte, wenn nicht einmal die Gemeinde selbst zu den kleinsten Reparaturen am Schulgebäude in der Lage war. Diese Konstellation warf darüber hinaus die Frage auf, ob es sich hierbei tatsächlich um einen uneigennützigen Versuch von Hilfe und Integration handelte, oder ob hier nicht die Notlage eines offenbar händeringend eine Unterkunft Suchenden ausge- nutzt wurde, indem man von ihm die – offenbar unbezahlte –
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