Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen
25 AUS DEM LEBEN VON FRITZ STÖCKEL Das Gepäck wurde aufgeladen, es ging wieder zum Bahnhof in den Waggon 51. Am Vormittag des 17.12.1946 sind wir wieder nach Lauban gefahren, weiter bis nach Kohlfurt. Von dort sollte es über die Neiße gehen. Wir standen dort in diesen kalten Tagen drei Tage auf einem Abstellgleis. Der Transport sollte ja nach demWesten gehen, nur arbeitsfähige Leute sollten es sein. Man hatte uns unterwegs zwei Waggons mit Kindern aus einem Heim angehängt. Die Engländer übernahmen den Transport mit den Kindern nicht. Für die DDR war der Transport nicht vorgesehen. Es war ein Trauerspiel. Leute starben, eine Frau gebar ein Kind; Mutter und Kind wurden ein Opfer der Kälte. Zu essen gab es etwas gefrorenes Brot und kalten Kaffee. Es war gut, dass wir etwas Speck und Schnaps hatten. Endlich, am 3. Tag gegen Abend, wurden wir über die Neiße abgeschoben. Dort gab es auf der ersten Station etwas warme Verpflegung. Die Fahrt ging weiter bis nach Weimar, dort hatten wir etliche Stunden Aufent- halt. In Altenburg in Thüringen wurden wir desinfiziert, alle muss- ten sich restlos entkleiden, mussten sich duschen. Ein kalkähn- liches Pulver wurde auf einen gestäubt. Von dort ging es weiter bis nach Suhl in Thüringen. Am 24.Dezember 1946 gegen 17 Uhr konnten wir den Zug verlassen, es läuteten gerade die Kirchen- glocken die Christnacht ein. Vom Bahnhof bis zur Unterkunft war es sehr glatt und ging bergab. Es standen Leute am Bahnhof mit Schlitten, einer sprach mich an, er wolle mich für 5 Mark zur Unterkunft bringen. Ich sagte, er solle beiseite gehen, sonst passiert etwas. Das war der Empfang von Deutschen in Deutschland und noch dazu am Heiligen Abend. Wir kamen ohne die Leute in die Un- terkunft. Es waren Gebäude der ehemaligen Waffenfabriken. Wir wurden im Kellergeschoss untergebracht. Die Wasserlei- tungen waren eingefroren, man konnte sich nicht waschen. Die Toiletten waren auch eingefroren. Unsere Notdurft mussten wir hinter einem Bretterverschlag verrichten. Wir waren wieder in Deutschland. Wir bekamen täglich Verpflegung, mittags eine Kelle Suppe, Wasser mit etwas Rüben. Es war gut, wenn jeder noch etwas selbst hatte. Am 8. Januar 1947 wurden wir mit neuen Ausweisen verse- hen. Danach wurden wir wieder in Waggons verladen, allerdings in Personenwaggons. Die Reise sollte uns in unsere Bestim- mungsorte bringen. Unterwegs wurden laufend Waggons ab- gehangen. Wir kamen spät abends im Schneetreiben in Bi- schofferode an. Der Ort liegt im Kreis Worbis/Thüringen in der Nähe der Zonengrenze bei Nordhausen. Wir wurden in einem Saal untergebracht, erhielten warmen Kaffee und Brot. Am an- dern Morgen sollten wir im Ort verteilt werden. Mit der Ankunft in Bischofferode am 10. Januar 1947 war das Kapitel meines Lebens und Wirken in der niederschlesi- schen Heimat beendet. Rückblickend war es zum Teil ein Leben harter Arbeit. Aber es hatte mir auch in unerwartetem Maße Erfüllung gebracht. Die Erniedrigung in den Jahren 1945/46 war eine Ernüchte- rung für mich. Wie hilflos ist doch der Mensch! Nur Glaube und Hoffnung sind dann noch die Stützpfeiler des Lebens. Trotz al- lem bin ich dankbar für das viele Gute, was uns der Herrgott in den Jahren geschenkt hat. So habe ich auch damals die Hoffnung behalten, in der neuen Heimat nochmals ein Leben als freier Mensch beginnen zu können. Was uns die Zukunft bringen würde, wussten wir nicht. Der Neuanfang würde schwer werden. Aber so schwer und mit so vielen großen Enttäuschungen und auch Demütigungen hatten wir nicht gerechnet, die wir in den kommenden Jahren in Deutschland erfahren mussten. Die neue Heimat Bischofferode hatte ungefähr eine Einwoh- nerzahl von 800 Seelen, ein rein katholischer Ort. Es waren noch keine Vertriebenen im Ort untergebracht. Es war eine arme Gegend, karger Boden, etwas Landwirtschaft, die übrigen Leute waren in dem nahen Kalibergwerk beschäftigt. Hatten zum Teil etwas Land und ein bis zwei Kühe. Wir Vertriebenen, die nun hier angesiedelt werden sollten, waren alle evangelisch. Ein kleiner Nachbarort war rein evangelisch. Am Morgen des 10.1.1947 erfolgte die Einweisung von uns an die Bevölkerung des Ortes. Wir waren alle mit unseren Hab- seligkeiten vor dem Gasthaus versammelt. Gegenüber warteten mehrere Fuhrwerke, Leute mit Wägelchen und Schlitten. Es waren unsere Gastgeber. Der Bürgermeister und mehrere Her- ren und auch der Landjäger nahmen die Einweisung von uns an die einheimischen Besitzer vor. Es dauerte eine Weile, die ersten waren unterwegs zu ihrer neuen Bleibe, sie kamen aber wieder zurück. Man hatte sie nicht eingelassen. Der Landjäger begleitete die Leute nun wieder zu dem Quartier, wo nun die Aufnahme erfolgte. Es war für uns ein kleiner Schock. Der Landjäger sagte zu den wartenden Quartierleuten, sollten wei- tere Schwierigkeiten bei der Aufnahme erfolgen, müsste er so- fort die russische Kommandantur in Nordhausen benachrich- tigen, die wären sofort da und würden die Einweisungen durchführen. Davor warnte er dringend. Ein junger Bursche mit einem Schlitten sprach mich an, fragte, ob ich schon ein Quartier hätte und wieviel Personen wir wären. Sie sollten zwei Personen aufnehmen. Sagte ihm, wir wären vier Personen. Er sagte ich könnte mir ja mal die Un- terkunft ansehen. Wir gingen beide nach Rücksprache mit mei- ner Frau nach dort. Es war ein kahler Raum von ca. 16 qm mit zwei kleinen Fenstern, zwei Bettstellen, einem Tisch, einer Bank und einem Hocker, ein kleiner eiserner Ofen, eine sogenannte „Kanone“. Der Ofen war pudelwarm. Ich sagte zu, wir machten uns wieder auf zu Verteilungsstelle, sagten dem Bürgermeister, dass wir einverstanden wären. Wir zogen mit unseren Habse- ligkeiten ein. Die Leute begrüßten uns freundlich, bis auf die Frau, die sah uns so von der Seite an. Der Raum war gut geheizt,
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