Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen
251 VOR ORT: JÜCHEN NACH 1945 beheizbar waren. 365 Der Schule in Neuenhoven wurde Anfang 1947 zwar Kohle zugeteilt, so dass zumindest zeitweise „kräftig geheizt“ werden konnte, doch konnte der großfenstrige und völlig unisolierte Klassenraum nur auf 5 Grad aufgewärmt werden, so dass lediglich „Kurzstunden“ erteilt wurden. 366 Der kalte Winter 1946/47 war auch jener Zeitraum, in dem sich der Mangel an Schuhen besonders gravierend bemerkbar machte. Das Schuhwerk der Schülerinnen und Schüler in Holz, so wurde berichtet, habe derart zu wünschen übrig gelassen, dass „manche Kinder barfuß“ zumUnterricht erschienen seien. 367 Die Folge des extremen Mangels an Schuhen, so heißt es bestätigend aus Otzenrath, sei das Fernbleiben der Kinder aus der Schule ge- wesen - „wochenlanges Fehlen ist keine Seltenheit!“ Um demwir- kungsvoll entgegenzusteuern ergriff der Schulleiter mit Unterstüt- zung von Ortsansässigen die Initiative und „organisierte“ kurz vor Weihnachten 1947 rund 160 Paar Holzschuhe, die kostenlos an die Kinder beider Schulen verteilt wurden. Die Pappeln für diese Aktion stiftete der ortsansässige Kleiderfabrikant Theo Bausch. 368 Auch in der ersten Hälfte des Jahres 1948 fehlte es noch an al- lem. Wie gravierend die Engpässe waren, lässt sich an einem eher unbedeutenden Beispiel veranschaulichen. In Otzenrath erwies es sich für die Gemeindeverwaltung offenbar schier als Ding der Un- möglichkeit, für das Klassenzimmer der neu eingerichteten „Mit- telklasse“ ein Kruzifix zu erwerben, weil das auf dem Wege der üblichen Kompensationsgeschäfte den Tausch gegen zwei Zentner Weizen erfordert hätte, die jedoch an anderer Stelle unverzichtbar waren. Deshalb, so wird berichtet, sammelten die Schüler ihrerseits Geld und wohl auch Tauschmaterialien, mit dem es einem Lehrer schließlich gelang, inMönchengladbach „zu einem annehmbaren Preis“ ein einfaches Kreuz zu erwerben. 369 Schulspeisung So wichtig intakte Schulgebäude, warme Klassenzimmer und aus- reichende Schulutensilien für einen Unterrichtserfolg zweifellos waren und sind, muss in jedem Fall aber gewährleistet sein, dass die Schülerinnen und Schüler hinsichtlich ihrer Konstitution über- haupt in die Lage versetzt werden, dem Unterricht konzentriert folgen zu können. Voraussetzung hierfür ist eine ausreichende und ausgewogene Ernährung, um die es – wie ja bereits ausführlich ge- zeigt – insbesondere in den Jahren zwischen 1946 und 1948 alles andere als gut bestellt war. Um Gesundheit und Aufnahmefähigkeit der Kinder und Ju- gendlichen zu verbessern, sah man spätestens ab 1946 auch im ländlich strukturierten Grevenbroicher Kreisgebiet die Notwen- digkeit, eine regelmäßige „Schulspeisung“ einzuführen. „Die irrige Meinung, unser Landkreis mit seiner intensivierten Landwirtschaft benötige keine zusätzliche Speisung für die Kinder“, so wurde die Maßnahme im Frühjahr 1947 erläutert, sei durch wiederholte Un- tersuchungen seitens des Gesundheitsamtes widerlegt worden, in deren Ergebnissen auch die Entwicklungen der vergangenen Jahre Berücksichtigung erfuhren. „In unserem Kreise sind seit Jahren die Evakuierten aus den zerbombten Städten, ein Flüchtlingsstrom von rund 17.000 fand in den z.T. hart zerstörten Dörfern und Städten eine Notunterkunft.“ Wegen der erheblichen Erhöhung der Einwohnerzahl habe sich die Einführung einer besonderen Speisung für Schulkinder als „sehr notwendig“ erwiesen, denn die Schulen hätten auf der Grundlage „genauester Messungen“ ge- meldet, dass die Kinder von Nichtlandwirten bis zu 400 Gramm im Monat abnehmen würden. Das hatte sich dann bis zum Zeit- punkt der Berichterstattung im März 1947 bereits erheblich zum Positiven gewandelt, denn rund die Hälfte aller Kinder zwischen 6 und 16 Jahren erhielten imKreisgebiet nunmehr eine zusätzliche Speisung. Dadurch besserte sich deren „körperlicher Zustand zu- sehends“ und die „Leichtermüdbarkeit“ der Kinder ebbte ab. Au- ßerdem, so wurde betont, habe es sich als notwendig erwiesen, auch die Lehrpersonen in diese Unterstützungsmaßnahme einzu- beziehen, weil es wiederholt vorgekommen sei, „dass einige ohn- mächtig vor den Kindern zusammengebrochen“ seien. 370 An der Jüchener Volksschule war die Kinderspeisung bereits sehr früh, nämlich am 23. Februar 1946 eingeführt worden – laut Schulchronik „eine dankenswerte Einrichtung, die nach dem Kriege bei der mangelhaften Ernährung herzlich begrüßt“ worden sei. Nachdem zunächst zwischen 230 bis 250 Kinder an der Spei- sung teilnahmen, stieg deren Zahl dann „andauernd“. Die Ge- meinde erhob für diese zusätzliche markenfreie Mahlzeit einen Kostenbeitrag von 1,- RM für das erste und 50 Pfennig für das zweite und dritte Kind, während etwaige weitere Geschwister von Zahlungen befreit waren. Zahlen mussten letztendlich aber die wenigsten: „Ein großer Teil der Kinder waren mit Rücksicht auf die geringen Einkommensverhältnisse der Familie von demBeitrag zur Kinderspeisung vollständig befreit.“ Die Küche zur Herstellung der Mahlzeiten wurde nach ersten Anfängen in die Schule an der Kirchstraße verlegt. Als die dann allerdings zur Unterbringung von Flüchtlingen und Vertriebenen benötigt wurde, fand ein Um- zug in den Schulneubau an der Bachstraße statt. 371 In Hochneukirch richtete man die Schulspeisung, an der um- gehend mehr als 90 Prozent der Kinder teilnahmen, Ende Juni 1946 ein. ImWinter 1946/47 konnte die für viele so segensreiche Einrichtung nur unter größter Mühe weiterbetrieben werden, weil es insbesondere an Brennmaterialien mangelte, weshalb auch der Schulunterricht insgesamt zeitweise ausgesetzt werden musste. 372 Wann für die Volksschulen auf dem Bedburdycker Gemeinde- gebiet die Schulspeisung eingeführt wurde, ließ sich nicht exakt ermitteln. Am 25. August 1947 wurde den Gemeindevertretern aber mitgeteilt, dass der Gemeinde zu deren Durchführung seitens der Kreisverwaltung künftig täglich 400 Portionen zugewiesen würden und ausdrücklich festgestellt, dass der arg gebeutelten und traditionell ohnehin eher armen Gemeinde „durch die Schulspei- sung keine Kosten entstehen“ würden 373
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