Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen
265 VOR ORT: FLÜCHTLINGE IN JÜCHEN Die hier imMittelpunkt stehendenOrte blieben ausweislich der verfügbarenQuellen von einer Flüchtlingszuweisung allemAnschein zunächst weitgehend unberührt. Neben etwaigen Lücken in der Überlieferung könnte das seinen Grund darin haben, dass Jüchen, aber auch die ihm unmittelbar benachbarten Orte durch eine hohe Zahl an Evakuierten, insbesondere aber durch den an anderer Stelle bereits dargestellten Unterhalt des DP-Lagers und die damit ver- knüpften Lasten bereits derart in Anspruch genommen waren, dass man sie höherenOrts von der Aufnahme weiterer Personen ausnahm – ein damals durchaus übliches Verfahren. Im Amt Hochneukirch etwa war die Zahl der Ortsansässigen zwischen Anfang Juni und dem Jahresende 1945 wieder von rund 2.800 auf 4.850 nach oben geschnellt, unter denen sich aber lediglich „einige Flüchtlinge und Vertriebene“ befanden. 395 Für Jüchen ist belegt, dass der Amtsbezirk angesichts der Belastungen durch das DP-Lager Mitte 1946 davon befreit war, zusätzlich noch „Ostflüchtlinge“ aufzunehmen. 396 Im Juli 1947, als die Durchschnittsquote an Flüchtlingen für das Kreis- gebiet 9,5 Prozent betrug, wiesen die Belegungsquoten eine große Spannbreite auf, die von 4,9 Prozent in Grevenbroich bis zu 22,9 Prozent in Büttgen reichte. Die stärker mit Zuweisungen bedachten Gemeinden empfanden das in aller Regel als ungerecht und reichten daher zahlreiche Beschwerden ein. 397 ANKUNFT UND ZAHLEN Spätestens mit dem Start der „Operation Schwalbe“ 398 kamen seit März 1946 dann auch größere Flüchtlingskontingente in den hier imMittelpunkt stehenden Orten an. Der „Startschuss“ fiel am 13. März 1946, als der Landrat den Bürgermeistern des Kreisgebietes mitteilte, dass – wie zuvor bereits in Presse und Rundfunk gemel- det – nunmehr „die Ausweisung der Deutschen aus den neupolni- schen Gebieten in erhöhtem Umfange“ einsetze. Daher sei auch im Kreis Grevenbroich „in den nächsten Tagen“ mit „Massenzu- strömen“ zu rechnen, weshalb der Düsseldorfer Regierungspräsi- dent das bisher auf 5.000 Personen begrenze „Aufnahmesoll“ auf 15.000 erhöht habe. Eile war geboten und es wurden entsprechend hektische Aktivitäten entfaltet. „Ich ersuche“, so der Landrat, „alle Maßnahmen vorzubereiten, um die Unterbringung der Flücht- linge, die in Zeitabständen eintreffen werden, sicherzustellen.“ Die Aufteilung auf die einzelnen Gemeinden werde „nach Anhörung des Ausschusses für das Flüchtlingswesen“ in den nächsten Tagen erfolgen. „Die entsprechenden Vorkehrungen wurden getroffen“, notierte der neue Jüchener Amtsbürgermeister Lesaar am 23. März 1946 auf der Rückseite der „durch Kurier“ verbreiteten Ankündi- gung aus Grevenbroich, ohne diese allerdings näher zu erläutern. 399 Auch über Zuweisungen und Unterbringung im Jahr 1946 sind in den eingesehen Unterlagen der diversen Archive leider keine nä- heren Mitteilungen enthalten. In den Dörfern undWeilern des Untersuchungsgebietes gestal- tete sich der Zuzug zunächst offenbar eher schleppend. Aus Auf- stellungen, die sich für Hochneukirch erhalten haben, lässt sich zwar ablesen, dass hier bereits am 16. November 1945 reichlich Strohsäcke und 500 Decken für Flüchtlinge angeschafft worden waren, doch handelte es sich dabei offensichtlich um die in der Tagespresse und dann am 19. November 1945 auch vom Landrat eingeforderten Vorbereitungsmaßnahmen, ohne dass darauf um- gehend Neuankömmlinge in den Dörfern eingetroffen wären. Au- ßerdem werden für die Monate Dezember 1945 und Januar 1946 Kosten für Maurer-, Schlosser- und Klempnerarbeiten sowie Lohn für „Instandsetzungsarbeiten“ an einem nicht näher bezeichneten „Flüchtlingslager“ im Ort und für den März 1946 in Otzenrath ausgewiesen. Am 22. März wurden demnach auch die ersten „Trans- portkosten für Flüchtlinge“ in Höhe von 22,80 RM fällig. Insge- samt hielten sich die Aufwendungen für Flüchtlinge und Vertrie- bene inHochneukirch bis Juni 1946 eher in recht überschaubarem Rahmen. 400 Das änderte sich ab Herbst 1946 dann aber deutlich, als die zu- nehmende Zahl der eintreffenden Flüchtlinge den aufnehmenden Kreisen und Gemeinden nicht nur immer mehr Verwaltungsarbeit, sondern auch erhebliche Kosten bescherte. 401 Diese waren auf An- ordnung der britischenMilitärregierung vom 27. November 1945 in personeller Hinsicht seitens der Gemeinden, bezüglich der auf- zuwendenden Sachmittel zu 85 Prozent von der Provinz zu über- nehmen, während die verbleibenden 15 Prozent zunächst ebenfalls zu Lasten der Kommunen gehen sollten. Diese Regelung wurde dann jedoch durch Verfügungen des Oberpräsidiums vom 30. April und des Düsseldorfer Regierungspräsidenten vom 17. Mai 1946 modifiziert, so dass der Landrat den Kommunen am 18. Juni 1946 mitteilen konnte, das nunmehr auch die bislang von den Ge- meinden getragenen 15 Prozent vom Kreis übernommen und bis- lang verausgabte Mittel komplett rückerstattet würden. Mit den Auswirkungen der „Aktion Schwalbe“ stand den Kom- munen die größte Arbeit jedoch noch bevor. Hatten sich die Kosten für Flüchtlingsbetreuung im Juli 1946 in Hochneukirch lediglich auf 1.973, 88 RM belaufen, schnellten sie im November 1946, als die große Fluchtwelle auch den Niederrhein erreichte, auf 11.716,24 RM in die Höhe. Neben den Sachaufwendungen nahm damit naturgemäß auch der Verwaltungsaufwand und die damit verknüpften Kosten erheblich zu, ohne dass es für die Kommunen hierfür einen Ausgleich gegeben hätte. So reichte die Hochneu- kircher Verwaltung beispielsweise für denMonat November 1946 eine umfangreiche und bis ins kleinste Detail spezifizierte Kosten- aufstellung ein, der 51 Originalbelege beigefügt waren. Die hierfür aufgewandte Verwaltungsarbeit musste auf Kosten anderer kom- munaler Belange gehen, denn es wurden nach Lage der Quellen wohl keine Neueinstellungen vorgenommen. Für Bedburdyck ist dagegen belegt, dass im Juli 1946 eigens „für die Betreuung der Ostflüchtlinge“ eine neue Arbeitskraft eingestellt wurde. 402 In Neuenhoven trafen ausweislich der Schulchronik die ersten Flüchtlinge aus Oberschlesien erst am 18. Juli 1946 ein. 403 Das
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