Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen

275 VOR ORT: FLÜCHTLINGE IN JÜCHEN gegennahme und Prüfung aller Vorschläge zur Linderung der Not der Bevölkerung und Weitergabe der Anregungen an den Kreis- Flüchtlings- und Wohlfahrtsausschuss zur Vorlage an die Militär- regierung.“ Um dieses Aufgabentableau bewältigen zu können, soll- ten „von allen beteiligten Dienststellen und Organisationen“ Fürsorgerinnen und sonstige sozial tätigen Kräfte zur Verfügung gestellt werden. Erschwert wurde die Konstituierung solcher Gre- mien sicher durch die naheliegende Auflage, dass natürlich nur solche Personen berufen werden durften, „die den Anforderungen der Militärregierung in politischer Hinsicht entsprechen“. 431 Angesichts des breiten Aufgabenspektrums der Wohlfahrtsaus- schüsse war man in den Dörfern des Niederrheins bemüht, diese Gremien auf ein möglichst breites Fundament zu stellen. So hatte Hubert Lesaar noch in seiner Funktion als Korschenbroicher Bür- germeister für seinen Amtsbezirk bereits im Januar 1946 beide Ausschüsse ins Leben gerufen und dabei auf eine breite fachliche und gesellschaftliche Repräsentanz geachtet. 432 Kaum war er in gleicher Funktion nach Jüchen gewechselt, beschloss der dortige Gemeinderat am 6. März 1946, dass demWohlfahrts- und Flücht- lingsausschuss entsprechend der Korschenbroicher Regelung neben den Gemeindevertretern künftig auch „die Herren Pfarrgeistlichen sowie der Rektor des Klosters St. Nikolaus angehören“ sollten. 433 Für die Zeit danach sind den Protokollbüchern der Vertretungen sämtlicher hier untersuchter Gemeinden – anders als etwa in Kor- schenbroich oder Glehn - bis in den Sommer 1946 hinein kaum konkrete Angaben zur Bildung und Arbeit von Ausschüssen zu entnehmen. Aus Hochneukirch ist beispielsweise lediglich bekannt, dass dort am 25. September 1946 neben anderen auch der Woh- nungsausschuss neu gewählt wurde. Er setzte sich künftig neben drei Gemeindevertretern aus vier Beisitzern zusammen – jeweils zwei Vertreter der Mieter und der Eigentümer. 434 Einen Flücht- lingsvertreter gab es demnach noch nicht, was als indirekter Beleg dafür gelten kann, dass diese Problematik zu diesem Zeitpunkt wohl noch nicht endgültig in den Dörfern angekommen war. In Bedburdyck war die Bildung eines solchen Gremiums schon Anfang Juli 1946 als alternativlos erkannt worden, als der dortige Gemeinderat zur Entlastung der in dieser Frage offenbar heillos überforderten Verwaltung die Bildung einesWohnungsausschusses für unabdingbar hielt. „Auf Vorschlag der Verwaltung erklärte sich Gemeindevertretung damit einverstanden, dass die Verwaltung mit den Vorsitzenden der Parteien zwecks Bildung des Ausschusses in Verbindung tritt.“ 435 - Wann das Gremium seine Arbeit dann aufnehmen konnte, ist nicht überliefert. Deutliche Veränderungen ergaben sich mit dem Beginn des großen Zustroms von Flüchtlingen und Vertriebenen ab November 1946, der die Notwendigkeit mit sich brachte, in dieser Hinsicht einheitliche und verlässliche Verwaltungsstrukturen auszubilden. Nach den ersten Kommunalwahlen der Nachkriegszeit, die am 15. September 1946 stattgefunden hatten, sollten daher auf Anwei- sungen der Militärregierung in den Orten nunmehr Flüchtlings- ausschüsse gebildet oder bereits bestehende Gremien nach ein- heitlichen Richtlinien umgeformt werden. Der Oberkreisdirektor leitete den Gemeinden am 9. November die Anordnung weiter, nicht nur für das Kreisgebiet, sondern auch in den Gemeinden entsprechende Ausschüsse einzurichten. Neu war, dass „als Mit- glieder für die gemeindlichen Ausschüsse lediglich Flüchtlinge he- rangezogen“ werden durften. „Die Ausschüsse vertreten die Inte- ressen der Flüchtlinge und unterstützen beratend die gemeindlichen Betreuungsstellen. Der gewählte Ausschuss der Flüchtlinge bestellt aus seinen Reihen einen Sprecher, der die Auffassungen und Emp- fehlungen des Ausschusses gegenüber der Gemeindeverwaltung vertritt.“ 436 Es kam offenbar zu begrifflichen Irritationen, denn bereits Ende des Monats erging eine neue Anweisung des britischen Kreisresi- dent-Offiziers, wonach die Vertreter jeder Kommune nunmehr ei- nen Flüchtlingsausschuss zu wählen hatten, „der die Gemeinde- verwaltung und die Gemeindevertretung in allen Fragen der Flüchtlingsbetreuung“ beraten solle. In diesen Ausschuss sei auch der Sprecher der laut Verfügung vom 9. November 1946 einge- richteten „Flüchtlingskomitees“, die imÜbrigen bestehen blieben, als „vollberechtigtes“ Mitglied aufzunehmen. Man wusste augen- scheinlich nicht so recht, was bei der missverständlichen Verord- nungslage tatsächlich zu tun war. In Korschenbroich etwa, wo man zuvor einen in der neuen Anordnung nun als „Flüchtlingskomitee“ bezeichneten Ausschuss gewählt hatte, versuchte man die missliche Lage dadurch zu lösen, dass man diesen kurzerhand in den Wohl- fahrtsausschuss integrierte und das so entstandene neue Gremium als „Flüchtlingsausschuss“ bezeichnete. Sollte diese Lösung abge- lehnt werden, gedachte man die lokalen Betreuer und Betreuerin- nen der FreienWohlfahrtspflege, „welche die Betreuung von Haus zu Haus vornehmen und dadurch die Einzelheiten besonders gut kennen“ mit den drei Mitgliedern des gewählten Flüchtlingsaus- schusses, d.h. des „Flüchtlingskomitees“, zu einem Flüchtlingsaus- schuss der neu angeordneten Art zusammenzuführen. Es wurde schließlich die erste Variante in die Tat umgesetzt, denn am 2. De- zember 1946 teilte der Amtsdirektor dem Oberkreisdirektor mit, dass in Korschenbroich wie in Kleinenbroich die bestehenden Wohlfahrtsausschüsse „in Verbindung mit den Flüchtlingsaus- schüssen“ die Tätigkeit der neu zu bildenden Flüchtlingsausschüsse wahrnehmen würden. 437 Andernorts suchte man offenbar länger nach praktikablen Lö- sungen, wobei die Anordnungen der Militärregierung wohl nicht immer in Gänze in die Tat umgesetzt wurden. Als etwa der Hoch- neukircher Gemeinderat im 4. Dezember 1946 die Einrichtung eines Flüchtlingsausschusses beschloss, waren darin – zumindest ausweislich der verfügbaren Quellen– keine Flüchtlinge vertreten. Neben vier Mitgliedern der Gemeindevertretung sollten laut Ein- trag im Protokollbuch lediglich Innere Mission, Caritas und Ar- beiterwohlfahrt je ein weiteres Mitglied in den Ausschuss entsen- den. Es dauerte offensichtlich noch bis Mitte Februar 1947, bis in

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