Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen
277 VOR ORT: FLÜCHTLINGE IN JÜCHEN Aber auch der direkte Kontakt zu den neu in den Orten ein- treffenden Menschen sollte entsprechend den Vorstellungen des Oberkreisdirektors intensiviert werden. So beschlossen etwa die Jüchener Amtsvertreter am 20. Januar 1947 die Bestellung eines eigenen „Flüchtlingsbetreuers“ und beauftragten die Verwaltung, entsprechende Vorschläge bei Pastor Langhardt in Kelzenberg und beim lokalen Flüchtlingssprecher Pietsch einzuholen. 443 Die folgenden Jahre brachten noch mehrfache Änderungen und Anpassungen in der offiziellen Vertretung von Flüchtlingen und Vertriebenen im kommunalen Leben sowie der hierauf zuge- schnittenen Verwaltungsstruktur. So verschickte das NRW-Sozi- alministerium am 5. September 1947 zwei Erlasse, wonach - sofern sie noch nicht bestehen sollten - in allen Kommunen umgehend „Flüchtlingsämter“ eingerichtet werden mussten und dort, wo es sie bereits gab, diese strikt von den Wohlfahrtsämtern zu trennen seien. Diese neuen Ämter waren zur Hälfte mit Beamten und An- gestellten aus Flüchtlingskreisen zu besetzen. Außerdem wurde für alle Orte nochmals die Einrichtung von Flüchtlingsausschüssen angeordnet, die nunmehr sowohl für die Flüchtlingsfürsorge als auch für die Flüchtlingsvertretung zuständig zeichnen und die Flüchtlingsämter beraten sollten. Daher mussten sich auch diese Ausschüsse künftig zur Hälfte aus Flüchtlingsvertretern zusam- mensetzen. 444 In Jüchen wurden daraufhin für die einzelnen Orte „Flücht- lingsbeiräte“ gewählt, deren Amtszeit zwei Jahre betrug und die laut Satzung folgende Aufgaben zu erfüllen hatten: „a) das Flüchtlingsamt in der Betreuung der Vertriebenen zu bera- ten und zu unterstützen, b) zu den ihm vom Flüchtlingsamt vorgelegten Fragen, Vorschlä- gen und Entwürfen Stellung zu nehmen oder solche anzuregen, c) bei den Vertriebenen aufklärend und beratend zu wirken, sich über ihre Lage zu orientieren, über sie zu berichten, auf Mängel hinzuweisen und Anregungen zur Abhilfe zu geben, d) auf ein gedeihliches Verhältnis zwischen der einheimischen Be- völkerung und Vertriebenen hinzuwirken, e) Sonderaufgaben wahrzunehmen, die ihm vom Flüchtlingsamt übertragen werden.“ 445 Mit diesen Neuerungen und der damit verknüpften stärkeren Repräsentanz von Flüchtlingen in kommunalen Gremien ging au- genscheinlich eine stärkere landsmannschaftliche Orientierung der neu Zugezogenen einher. Da dieser Prozess sich in den für Jüchen und Umgebung vorgefundenen Akten nicht widerspiegelt, sei er kurz am Korschenbroicher Beispiel erläutert. 446 Aufgrund der neuen Richtlinie, die Flüchtlingsausschüsse künftig zur Hälfte mit unmittelbar Betroffenen zu besetzen, kam es dort zur Aufstellung von drei „Flüchtlingslisten“, die offenbar nach rein landsmann- schaftlichen Kriterien zustande gekommen waren. Auf Liste I stell- ten sich sechs Kandidatinnen und Kandidaten aus Pommern zur Wahl, die Vertreter der Liste II waren aus Schlesien vertrieben worden, während jene von Liste III den Weg aus Ostpreußen an den Niederrhein gefunden hatten. Folgt man dem Wahlergebnis, so dominierten in Korschenbroich die Flüchtlinge aus Schlesien, die vier der sechs Flüchtlingsvertreter stellten, während auf die pommerschen und ostpreußischen Landsmannschaften je einMan- dat entfiel. Weil die übrigen Vertreter von Verwaltung (Gesund- heits- und Jugendamt, Wohnungsamt, Schule) und Wohlfahrts- verbänden (Caritas, Evangelisches Hilfswerk, Rotes Kreuz) bereits am 2. Dezember 1947 vom Amtsdirektor berufen worden waren, konnte das neu gebildete Gremium am 12. Dezember erstmals zu- sammentreten. 447 Im Einzugsbereich des heutigen Jüchener Gemeindegebiets konnten solche landsmannschaftlichen Orientierungen aus den Quellen nicht nachgewiesen werden. Dass es sie gegeben hat, ist Stimmzettel zur Wahl der Flüchtlingsausschusses in Glehn am 7. Dezember 1947
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