Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen

278 VOR ORT: FLÜCHTLINGE IN JÜCHEN wahrscheinlich, aber keinesfalls für jeden Ort sicher. Für Bedbur- dyck etwa stellte sich die Situation offenbar anders dar. Als hier imNovember 1949 der Flüchtlingsausschuss – wohl zum zweiten Mal nach 1947 448 – gewählt wurde, gab für jeden der örtlichen Wahlbezirke lediglich einen Vorschlag, so dass die Vorgeschlagenen ohne eigentliche Abstimmung als gewählt galten. Der Ausschuss bestand aus zwölf Mitgliedern: den sechs „gewählten“ Flüchtlings- vertretern und sechs von der Gemeindevertretung bestimmten Mitgliedern – unter ihnen der Bürgermeister. 449 Die Rolle dieser Gremien beurteilt die Forschung mittlerweile recht kritisch. Sie hätten als den Kommunen von den Alliierten aufgezwungene Einrichtungen lediglich Vorschläge unterbreiten dürfen und seien, wenn sie auf die Beseitigung von Missständen gedrängt hätten, häufig als „Querulanten“ beschimpft worden. Ihr Beispiel zeige, „wie Integration realgeschichtlich stattgefunden hat, nämlich vor allem zu Lasten der Flüchtlinge und Vertriebenen.“ 450 Zu diesemZeitpunkt waren die kommunalenWohlfahrts- und Flüchtlingsausschüsse in ihrer Bedeutung aber ohnehin längst von anderen Gremien abgelöst worden, nämlich jenen, in denen es um die Themen Siedlungsland, Wohnungen und Hausbau ging. Am 24. April 1947 wurden die Kommunen von einer Anordnung des Ministers für Wiederaufbau in Kenntnis gesetzt, in der es um die Verteilung von Siedlungsland an Flüchtlinge und die hierzu not- wendige Bildung von Siedlungsausschüssen ging. Die Bedburdycker Ratsmitglieder riefen daraufhin umgehend einen solchen Ausschuss ins Leben, dem Richard Fischer als Flüchtlingsvertreter, Wilhelm Fuhrmann für die Handwerker und Jakob Schlangen für die Land- besitzer angehörten. 451 In Hochneukirch wurde ein solcher Aus- schuss am 6. Mai 1947, in Jüchen am 18. November 1947 einge- richtet. 452 Noch wichtiger aber waren auf kommunaler Ebene wohl jene Gremien, die für die – an anderer Stelle zu untersuchende - Ver- teilung des knappenWohnraums zuständig zeichneten. Nicht ohne Grund richtete der Hochneukircher Gemeinderat direkt in seiner ersten Sitzung nach der NS-Zeit am 21. Februar 1946 je eine „Woh- nungskommission“ für Hochneukirch/Holz und Otzenrath/Spen- rath ein. 453 In diesen Gremien waren die besonders von solchen Notlagen betroffenen Flüchtlinge und Vertriebenen deutlich un- terrepräsentiert. So gehörte der neunköpfigenWohnungskommis- sion in Hochneukirch im November 1948 mit Wilhelm Tews le- diglich ein Flüchtlingsvertreter an. Gleiches galt im Übrigen für die – allerdings nur achtköpfige – örtliche Wohlfahrtskommis- sion. 454 Etwas unklar bleibt vor diesem Hintergrund die Einver- ständniserklärung des Gemeinderats vom 8. Juli 1949, „dass ein Vertreter der Interessenvereinigung der Ostvertriebenen als Mit- glied derWohnungskommission aufgenommen“ werde, wobei des- sen Nominierung der Interessenvereinigung selbst überlassen blieb. 455 Fand damit ein zweiter Flüchtlingsvertreter Aufnahme in die wichtige Wohnungskommission? Und hieß das im Umkehr- schluss, dass der bis dahin der Kommission angehörende Vertreter der Zugezogenen als Gemeinderat über ein „Parteiticket“ bestimmt worden war, ohne der Interessenvereinigung anzugehören? Nach bisherigemWissensstand sind diese Fragen nicht zu beantworten. In Jüchen gab es im November 1948 nicht nur einen Woh- nungsausschuss, sondern auch eine dazugehörige „Schlichtungs- stelle“. Allerdings gehörte beiden Gremien zu diesem Zeitpunkt offenbar kein Flüchtlingsvertreter an. Als Beisitzer weisen die ent- sprechenden Ratsprotokolle lediglich je einen Vertreter der Haus- besitzer, der Mieter sowie der „politisch und rassisch Verfolgten“ aus. 456 Wie und wann sich die Zusammensetzung des Ausschusses veränderte, ist den Quellen nicht zu entnehmen. Jüchen war in dieser Frage aber kein Einzelfall. Als 1950 gemäß der Vorgaben des neuen Landeswohngesetzes die kommunalen Wohnungsaus- schüsse durch je ein Mitglied aus den Reihen der politisch und rassisch Verfolgten zu ergänzen waren, wurden in Bedburdyck im April zwei neue Mitglieder berufen. DemGremium gehörten nun- mehr neben den Gemeindevertreter Postels, Josef Schlangen und Gottschalk als „Beisitzer für die Beschwerdestelle“ noch der Ge- meindevertreter Breuer für die Vermieter und Hänisch sen. für die Mieter an. 457 Das Protokoll weist niemanden aus, der dezidiert die Interessen der Flüchtlinge und Vertriebenen vertreten hätte. Georg Gottschalk war zwar Flüchtling, aber als Mitglied des Gemeinderats in das Gremium berufen worden, wo er dann allerdings wohl offi- ziell als „Flüchtlingsvertreter“ fungierte. 458 Auf sein Engagement wird noch verschiedentlich zurückzukommen sein. In Garzweiler wiederum verfuhr man in dieser Frage augen- scheinlich nochmals völlig anders. Aus der Tatsache, dass der dortige Gemeinderat in seiner Sitzung am 21. Januar 1950 einstimmig be- schloss, einen „Wohnungs- und Flüchtlingsausschuss“ zu bilden, kann nach Lage der Dinge nur geschlossen werden, dass man beide Problembereiche künftig in einemAusschuss zusammengefasst an- zugehen gedachte. Dabei wurde – wohl wegen der großen Bedeu- tung der Frage – für jeden Ort, also für Garzweiler, Jackerath, Priesterath und Belmen, je ein eigener dreiköpfiger Ausschuss ge- bildet, der „in jedemWohnungsfall“ angehört werden sollte. Wäh- rend ihm von Ort zu Ort aber jeweils zwei Ortsansässige angehör- ten, wurde Johann Assmuss „als Vertreter der Flüchtlinge“ als Mitglied in allen vier Ausschüssen bestimmt, was bedeutete, dass die Flüchtlinge damit über keine dorfbezogene Vertrauensperson verfügten. 459 Dabei konnte gerade für sie auf dem unbekannten Terrain der „neuen Heimat“ jeglicher Beistand von großer Bedeutung sein. Aber woher sollte der kommen, war es den Geflohenen und Ver- triebenen in den ersten Nachkriegsjahren doch untersagt, sich selbst politisch zu organisieren und damit ihre Interessenvertretung in eigene Hände zu nehmen. 460 Das galt bis in die einzelnen Orte hinein, wie für Jüchen imHerbst 1947 nochmals bestätigt wurde. NachdemAmtsdirektor Lesaar in einer Besprechung der Gemein-

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