Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen

286 VOR ORT: FLÜCHTLINGE IN JÜCHEN teil erst bekannt geworden sein. Unter den von den Polen ausge- wiesenen Ostflüchtlingen haben sehr viele Typhus überstanden. Eine Nachkontrolle haben die Polen im Gegensatz zu den Russen nicht durchgeführt. Infolgedessen besteht eine große Gefahr, dass unter diesen Flüchtlingen sich Bazillenausscheider befinden. Die Kinder der Ostflüchtlinge sind in einem bejammernswerten Zu- stand. Ich fand in einer Gemeinde 11% Kinder mit Herzfehler.“ 480 Oberkreisdirektor Gilka konnte nichts weiter tun, als die ihm zugetragenen dramatischen Informationen an die zuständigen Stel- len der Militärregierung weiterzuleiten. Am 7. September 1946 berichtete er über die Lage in den kommunalen „Flüchtlingslagern“: „Es handelt sich ausschließlich um provisorisch eingerichtete Mas- senunterkünfte, die für ein ständiges Bewohnen durch Menschen nicht geeignet sind. Sie sind bei herbstlicher und winterlicherWit- terung gesundheitsschädlich und sind zur Entstehung von Epide- mien durch die allgemeine, schlechte bauliche Verfassung geeignet. Die untergebrachten Flüchtlinge werden nachMöglichkeit in Pri- vatquartiere eingewiesen, sofern dies bei der starken Zuweisung an Ostflüchtlingen noch ermöglicht werden kann.“ 481 – Optimis- tisch klang das nicht, was angesichts von 3.124 Menschen, die im September 1946 im Kreisgebiet noch in Massenunterkünften un- tergebracht waren, nicht verwunderlich ist. 482 Und dabei stand die wirklich große Welle an Neuankömmlingen dem Kreis Greven- broich ja noch bevor! Um dem Ansturm halbwegs Herr zu werden, wurde die Erfas- sung des verfügbaren Wohnraums offenbar nochmals mit hohem Personalaufwand erheblich perfektioniert und auf eine neue sta- tistische Grundlage gestellt. Für Bedburdyck liegen die hierzu er- stellten Erhebungsbögen für sämtliche Wohnhäuser im Gemein- degebiet vor, in denen jedes einzelne verfügbare und bewohnbare Zimmer mit genauer Größe, Keller- und andere Funktionsräume sowie – unterteilt nach eigenständigen Haushalten - die Namen sämtlicher Bewohner mit Altersangabe und Beruf verzeichnet wur- den. Diese Papiere waren zudem ständig zu aktualisieren und mit detaillierten Angaben darüber versehen, welche Räume bewohnbar, welche instand zu setzen und welche auf längere Dauer unbewohn- bar waren. Damit stand der Gemeindeverwaltung künftig ein sehr brauchbares und wohl auch wirkungsvolles Steuerungsinstrument bei der Zuteilung vonWohnraum an neu eintreffende Flüchtlinge und Vertriebene zur Verfügung. 483 Vorder- und Rückseite eines Wohnraumerfassungsbogens der Gemeinde Bedburdyck, November 1946. Auf der verfügbaren Wohnfläche von 69 qm lebten drei Familien – zwei von ihnen vertrieben.

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