Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen

288 VOR ORT: FLÜCHTLINGE IN JÜCHEN und Gemeindedirektoren in Grevenbroich – zum wiederholten Male – ein Beschluss formuliert, wonach künftig alles versucht werden müsse, bei der Unterbringung von Flüchtlingen in Privat- quartieren insbesondere die Landwirte stärker heranzuziehen. 487 Außerdem mussten sich die Behörden eines weiteren Phänomens erwehren, das augenscheinlich immer weiter um sich griff. Um un- liebsame Gäste aus dem Haus oder der Wohnung fernzuhalten, gewährten Eigentümer ihnen genehmeren Personen Unterkunft, ohne dass die eine solche nötig oder offiziell darauf Anspruch ge- habt hätten. So sah sich die Jüchener Amtsvertretung imNovember 1947 zu demBeschluss genötigt, „dass Personen, die widerrechtlich irgendeinen Wohnraum beziehen, ohne Rücksicht auf ihre per- sönlichen Verhältnisse den Raum wieder räumen müssen“. 488 Das Thema der Unterbringung blieb im kommunalen Alltag beherrschend und verlangte denGemeindeverwaltungen erhebliche Mühen und Flexibilität ab. Das veranschaulicht ein weiteres Beispiel aus Jüchen, aus dem zunächst hervorgeht, dass – um Sepp Herber- ger zu zitieren – „nach dem Spiel“ immer auch „vor dem Spiel“ war, dass also auf eine mit viel Mühen geglückte Unterbringung von neu imOrt Eingetroffenen umgehend die nächste Zuweisung mit gleichen Problemlagen folgen konnte. So ging ein sehr zeitty- pisches, auf den 25. Oktober 1947 datiertes Schreiben des Ober- kreisdirektors zwei Tage später in Jüchen ein, in dem „für den Dienstag der kommendenWoche“ - also den darauffolgenden Tag! - zehn neue Flüchtlinge „zur Aufnahme und Unterbringung“ an- gekündigt wurden. Die Ankündigung war mit der Aufforderung versehen, „sofort das Erforderliche für die Unterbringung zu ver- anlassen, damit die Flüchtlinge unmittelbar nach Ankunft einge- wiesen werden“ könnten. Da sie „keinerlei Gepäck“ mitführen würden, wurde die Verwaltung zudem aufgefordert, „die zur Le- bensführung notwendigsten Haushaltsgegenstände ggfls. durch Spenden eingesessener Familien bereitzustellen“. 489 Dass zugleich mitgeteilt wurde, „mit Rücksicht auf die angespannten Wohn- raumverhältnisse in den Gemeinden“ würde der „Rest des Trans- ports in einem Massenquartier des Kreises“ untergebracht, dürfte den Verantwortlichen in Jüchen bei der Erledigung ihrer neuen Aufgabe nicht geholfen haben. Dabei darf vor allem nicht außer Acht gelassen werden, dass mit jeder Zuweisung nicht nur neue „Nummern“ und „Fälle“ zu bearbeiten waren, sondern dass sich dahinter Menschen und deren oftmals schrecklichen Schicksale verbargen. Jedes einzelne von ih- nen konnte den sicherlich bemühten, in aller Regel aber ohnehin Die Wohnungskommission Ehringhausen bei der Arbeit, November 1948. Das Ergebnis war eine abenteuerliche Unterbringung einer Flüchtlingsfamilie mit zwei Kleinkindern.

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