Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen
291 VOR ORT: FLÜCHTLINGE IN JÜCHEN Neue Massenunterkünfte Im September 1946 gab es im heutigen Jüchener Gemeindegebiet laut einer von der Kreisverwaltung erstellten Statistik unten ste- hende Massenunterkünfte mit insgesamt 173 Insassen. Im Juli 1947 soll es dann – wie oben gezeigt – laut offizieller behördlicher Auskunft in Bedburdyck, Garzweiler, Hochneukirch und Jüchen bereits keine Massenunterkünfte für Flüchtlinge mehr gegeben haben. Das hatte sich aber bis zum Frühjahr 1948 erneut deutlich verändert, wobei offen bleiben muss, ob die Angaben des Jahres 1947 unzutreffend waren, ob unterschiedliche Definitionen von „Sammelunterkünften“ zugrunde lagen oder ob zwischenzeit- lich Neuzuweisungen in erheblicher Zahl erfolgt waren. Jedenfalls berichtete der Jüchener Amtsdirektor auf Aufforderung der Kreis- verwaltung am 17. April 1948 über mehrere Flüchtlings-Sammel- unterkünfte imOrt. Dabei handelte es sich um die Räume der ehe- maligen katholischen Mädchenschule in der Kirchstraße 9 und am Markt 6. Die insgesamt drei Räume mit einer Größe von 72, 70 und 80 Quadratmetern und einer Deckenhöhe von fünf Metern (!) beherbergten zu diesem Zeitpunkt 30 (4 Männer, 8 Frauen, 18 Kinder), 14 (3-5-6) und 11 (2-3-6) Personen aus 8, 6 bzw. 4 ver- schiedenen Familien. Beheizt wurden zwei der großen und kaum isolierten Räume durch einen Ofen, der dritte gar nur durch einen Herd. Für die „Gemeinschaftsverpflegung“ stand ein zusätzlicher Elektroherd zur Verfügung. Für sämtliche 55 Personen gab es le- diglich vier Waschbecken und sechs Toiletten ohne (!) Wasserspü- lung. Obwohl die Sammelunterkünfte seitens der Gemeindever- waltung sehr zu Recht als völlig unzureichend klassifiziert wurden, mussten sie zu diesem Zeitpunkt noch beibehalten werden, „weil Wohnungen, Möbel und vor allen Dingen Herde“ erst „nach und nach“ zu beschaffen waren. Dabei sollte es längst keine derart unzumutbaren Massenun- terkünfte mehr geben. Bereits am 15. März 1948 hatte es die Kreis- verwaltung den von ihr beaufsichtigten Kommunen „nochmals zur besonderen Pflicht“ gemacht, „für die Räumung der bestehen- schloss nach dem Bericht des Polizisten jedenfalls resigniert die Akte S., da „eine Weiterverfolgung der Angelegenheit keine Aus- sicht auf Erfolg“ verspreche. Daher muss der Fortgang der Ange- legenheit im Dunkeln bleiben. Beim vorgestellten Fall handelt es sich um lediglich eins von ungezählten Beispielen. Dass - oftmals unflätige - verbale Beschimp- fungen der Neuankömmlinge an der Tagesordnung waren, wird nicht nur von praktisch allen Zeitzeugen bestätigt, sondern findet auch in der gesamten Forschungsliteratur Bestätigung als nahezu überall anzutreffender Dauerzustand. Bestimmte Verhaltensweisen der Haus- und Wohnungsbesitzer traten in solcher Häufung auf, dass behördlicherseits immer wieder versucht werden musste, zu- mindest den schlimmsten und menschenunwürdigsten Erschei- nungsformen entgegenzuwirken. So musste die Grevenbroicher Kreisverwaltung die Gemeinden auf Anweisung des britischen Kreisresident-Officers noch im Mai 1949 darauf hinweisen, „dass das Verhalten der einheimischen Bevölkerung gegenüber den Ost- vertriebenen in manchen Fällen zu wünschen übrig“ lasse. Beson- ders wurde dabei bemängelt, „dass Vermieter den Vertriebenen Schwierigkeiten beimEin- und Ausgehen in dieWohnung bereiten und in Einzelfällen sogar die Benutzung der einzigen Toilettenan- lage verwehren“ würden. „Ich bitte, diesen Dingen Ihr besonderes Augenmerk zu schenken und in den Ihnen bekannt werdenden Fällen die berechtigten Interessen der Vertriebenen mit Nachdruck zu vertreten und durchzusetzen. In Fällen, in denen sich ganz be- sondere Schwierigkeiten ergeben sollten, bitte ich, mir die Unter- lagen zurWeiterverfolgung der Angelegenheit vorzulegen. Es muss unter allen Umständen vermieden werden, dass Vertriebene will- kürlichen, ungerechtfertigtenMaßnahmen von Vermietern ausge- setzt sind und in der Verteidigung ihrer berechtigten Belange durch die Behörde nicht ausreichend unterstützt werden.“ 492 Ob dieser Appell des Oberkreisdirektors in den Dörfern tatsächlich Gehör fand, muss – unter erheblichen Zweifeln - dahingestellt bleiben. ORT ADRESSE ART BESITZER BELEGUNG Bedburdyck Gierath, Bedburdycker Str. 12 Saal Wassenberg 16 Dycker Weinhaus Saal Breuer 40 Garzweiler Dorfstr. 76 Schule Gemeinde 30 Dorfstr. 105 Schule Gemeinde 35 Hochneukirch Wickrather Str. Saal 37 Jüchen Bahnstr. 16 Saal 15 FLÜCHTLINGS-MASSENUNTERKÜNFTE (SEPTEMBER 1946) 493
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