Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen
294 VOR ORT: FLÜCHTLINGE IN JÜCHEN schlechtesten verwaltete Gemeinde des Regierungsbezirks und der Gemeindedirektor für sein Amt unfähig sei“. Das wiederumwollte der verständlicherweise nicht auf sich sitzen lassen und erklärte in der darauffolgenden Sitzung, der Regierungsvizepräsident habe auf Nachfrage schriftlich erklärt, eine solche Äußerung nie getan zu haben. Auch der kurz zuvor ja aus Protest gegen dessen Verhalten aus dem Wohnungsausschuss zurückgetretene Hans Gottschalk verteidigte nun den Gemeindedirektor und erklärte, der habe „im Einvernehmen mit demWohnungsausschuss und auf Anordnung der Regierung gehandelt“. Insgesamt dürfte es sich hierbei um eines von zahlreichen Bei- spielen handeln, an denen sich ablesen lässt, wie tief und wie lange die Frage der Unterbringung von Flüchtlingen und Vertriebenen in das Dorfleben einschnitt und sich schnell verhärtende Fronten zur Folge haben konnte. Gefälligkeitsentscheidungen gehörten ebenso zum Dorfalltag wie ausgeprägtes Misstrauen. Folge waren externe Kontrollen, um dorfinterne Regelungen auf ihre Geset- zes- und Verordnungstreue zu überprüfen. In Hochneukirch etwa teilte Gemeindedirektor Bickler demGemeinderat am 24.Oktober 1949 mit, „dass zur Zeit in der Gemeinde eine Wohnungsprüfung durch Vertreter der Regierung stattfindet und dass dieWohnungs- kommission sich bis zum Abschluss der Prüfung jeder Tätigkeit zu enthalten“ habe. 501 Es war leider nicht in Erfahrung zu bringen, ob es sich um eine routinemäßige Überprüfung handelte, die kreis- weit durchgeführt wurde, oder ob die spezifischen lokalen Ver- hältnisse eine solche Visite der Aufsichtsbehörde notwendig ge- macht hatten. In seinen tatsächlichen Ausmaßen lässt sich das Phänomen der Wohnraumzuteilungen aufgrund fehlender Quellen kaum fassen und ist daher auch nur schwer und zurückhaltend zu beurteilen. Es waren eben vorwiegendmündliche Prozesse und Verhandlungen, die den Entwicklungen zugrunde lagen, auf deren schriftliche Fi- xierung man – oft wohl aus guten Gründen! – zumeist verzichtete. Obwohl es vergleichbare Konstellationen mit Sicherheit in allen hier untersuchten Ortschaften gegeben haben dürfte, fanden sie nur im Protokollbuch der Gemeindevertretung Bedburdyck einen konkreten Niederschlag, während beispielsweise in den entspre- chenden Unterlagen aus Hochneukirch nicht ein Wort hierüber verloren wurde. Hilfe von außen scheint aber in vielen Fällen als ultima ratio in Anspruch genommen worden zu sein. So wurde beispielsweise in Garzweiler imRahmen der Gemeinderatssitzung am 25. September 1949 „ein Bericht über die Unterbringung und Einweisung von Flüchtlingen“ erstattet. Darin wurde mitgeteilt, „dass sich bei der letzten Zuteilung von 16 Flüchtlingen besondere Schwierigkeiten“ bei deren Unterbringung ergeben hätten, „so dass eine Regierungskommission angefordert werden musste, die im Verein mit einer Kommission des Grevenbroicher Kreiswohnungs- amtes die Flüchtlinge untergebracht habe“. 502 – Ob in Garzweiler die Mistgabeln auch schon bereitstanden? Unter solchen Umständen war es nur zu verständlich, wenn die Mitglieder der Gemeindevertretungen bestrebt waren, die kon- fliktträchtigen Entscheidungen in Zusammenhang mit der Unter- bringung von Flüchtlingen und Vertriebenen und deren Durch- setzung aus ihremZuständigkeitsbereich zu eliminieren. Das wurde am 16. Oktober 1951 in Jüchen deutlich, als die dortigen Gemein- deräte zu einer außerordentlichen Sitzung einberufen wurden. Die war laut Bürgermeister Schiffer nötig geworden, weil in der vorhe- rigen Sitzung „beschlossene Einweisungen einer größeren Anzahl“ von Flüchtlingsfamilien im Ort auf erhebliche, leider nicht näher spezifizierte Schwierigkeiten gestoßen waren. Daraufhin hätten sich „einzelne“ einheimische und daher wohl von solchen Zwangs- einweisungen betroffene Familien „erneut und nachdrücklich“ an den Bürgermeister und einzelne Gemeindevertreter gewandt und sie aufgefordert, sich für die Rücknahme der Beschlüsse einzusetzen. Trotz der am 18. September 1951getroffenen Entscheidung der Gemeindevertretung, solche Dinge künftig allein durch Woh- nungsamt und Wohnungskommission erledigen zu lassen, trat sie nochmals in Beratungen ein und legte fest, in der nächsten Sitzung die Beschlüsse zu verkünden. Am 30. Oktober beauftragen die po- litischen Repräsentanten Jüchens dann den Amtsdirektor, „imBe- nehmen“ mit zwei Gemeinderatsmitgliedern „die ganze Angele- genheit zum Abschluss zu bringen“, um danach nochmals ein deutliches Signal an die Bevölkerung zu senden: „Im Zuge dieser Aussprache beschließt Gemeindevertretung grundsätzlich, fortan sich im gesamten Kollegium nicht mehr mit Wohnungsangele- genheiten zu befassen, sofern es sich nicht um gemeindeeigene Wohnungen handelt. DieWohnungsangelegenheiten sollen durch die Verwaltung im Benehmen mit demWohnungsausschuss selb- ständig erledigt werden.“ 503 Konkurrenzkämpfe Die Lage in den einzelnen Orten verschlechterte sich nicht zuletzt auch deshalb kontinuierlich, weil angesichts der zwingend notwen- digen Unterbringung der Neuankömmlinge die Konkurrenz um den knappen Wohnraum mit anderen Bevölkerungsgruppen an Bedeutung und Heftigkeit zunahm. Das galt beispielsweise für den Umgang mit Dienstwohnungen für Polizisten und Lehrer, der sich zur Darstellung dieses Problems deshalb besonders gut eignet, weil er einerseits als Aufgabenbereich der kommunalen Verwaltungen in den überlieferten Quellen schriftlichen Niederschlag gefunden hat und andererseits zu einem Anliegen öffentlichen Interesses wurde, weil den Eltern daran gelegen sein musste, dass zur Unter- richtung ihrer Kinder ausreichend qualifizierte Lehrkräfte verfüg- bar waren. Die aber erwarteten eine zumindest bescheidenen Ansprüchen genügende Unterbringung. So gab es in Bedburdyck im November 1948 erhebliche Pro- bleme mit der Dienstwohnung des Ortspolizisten. Der bisherige Amtsinhaber war versetzt und als Nachfolger ein Beamter mit gro- ßer Familie bestimmt worden. Das hatte zur Folge, dass der Polizist
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