Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen
296 VOR ORT: FLÜCHTLINGE IN JÜCHEN seldorf verzog und die Dienstwohnung frei wurde. Da meine Fa- milie aber an meinem letztenWirkungsort Vechta wohnungs- und ernährungsmäßig damals besser untergebracht war, verzichtete ich auf den Bezug der freigewordenen Wohnung, die in kurzer Zeit dann von vier Flüchtlingsfamilien (22 Personen!) belegt wurde. (Die Aufnahme, d.h. Unterbringung der Flüchtlinge in Otzenrath wäre auch noch einiger Ausführungen wert, jedoch schweigt ‚des Sängers Höflichkeit‘.) –Mit der Einführung der D-Mark (20.6.48) bekam das Gehalt wieder Kaufwert. Nun bestand aber die Schwie- rigkeit, die Flüchtlingsfamilien anderweitig unterzubringen. (…) Erst als die Beschwerden und Anträge nicht nur das Kreiswoh- nungsamt, das Schulamt, die Regierung, ja sogar das Kultusminis- terium auf den Plan riefen, der Tod allerdings in der Nachbarschaft auch die Möglichkeit zur Unterbringung einer Flüchtlingsfamilie bot, wurden imOktober 1950 drei Räume der Schulleiterwohnung frei. Die Wiederinstandsetzung der Zimmer erforderte viel Zeit und Geld. Seit den Weihnachtstagen ist das frühere Badezimmer mit Innenklosett die Küche geworden; die beiden anderen Räume sind Wohn- und Schafzimmer für 5 Personen! – Im Erdgeschoss der Dienstwohnung wohnen noch zwei Flüchtlingsfamilien.“ 506 Die bislang präsentierten Beispiele stellten sicherlich nur die kleine Spitze des großen Eisbergs „Flüchtlingsunterbringung“ dar, der damals auch durch die ländlichen Gebiete des Niederrheins trieb und – aus sehr unterschiedlichen Gründen – auf allen Seiten Angst oder zumindest Unbehagen hervorrief. Dabei wurde be- hördlicherseits immer wieder alles versucht, um eine möglichst einheitliche Handhabung der Materie zu gewährleisten, um so die effektivste Lösung des Problems zu ermöglichen. Das ging natur- gemäß stets mit erheblichen Einschränkungen der Verfügungs- rechte über das private (Wohn-) Eigentum einher, was bei den Einheimischen erwartungsgemäß auf wenig Gegenliebe stieß. Sie mussten immer wieder auf die entsprechenden gesetzlichen Vor- gaben aufmerksam gemacht werden, ohne dass das nachhaltig fruchtete. So sah sich beispielsweise die Amtsverwaltung Hoch- neukirch Mitte 1949 – zum wiederholten Male – dazu veranlasst, die Bevölkerung darauf hinzuweisen, „dass jegliche Veränderung vonWohnraum, Neuvermietungen, Zweckentfremdung und Frei- werdung von Wohnraum auf Grund des Kontrollratsgesetzes (Wohnungsgesetz 19) vom 8.3. 1946 dem hiesigenWohnungsamt sofort zumelden“ sei. „Für die Nichtbefolgung dieser Anordnungen sieht das Gesetz harte Strafen vor.“ 507 Das hielt viele Hausbesitzer - insbesondere nach derWährungs- reform - aber nicht davon ab, ihren persönlichen, zumeist geld- werten Vorteil zu suchen. So musste sich der Jüchener Gemeinderat Anfang August 1949 mit der Klage auseinandersetzen, dass sich ein Eigentümer nach Instandsetzung einer Wohnung in seinem Haus weigere, die Kosten zu tragen. Aber nicht nur das: Ihm sei, so wurde weiter vorgebracht, seinerzeit „zur Auflage gemacht wor- den, bei Instandsetzung der Wohnung Flüchtlinge – selbstver- ständlich seiner Wahl – aufzunehmen“. Kaum sei die Renovierung aber fertiggestellt gewesen, habe er es zugelassen, dass „ohne Ge- nehmigung des Wohnungsamtes“ die Tochter eines Jüchener Schreiners in die fertiggestellten Räume eingezogen sei. Nach Be- schluss der offenbar recht machtlosen Gemeindevertretung sollte nun versucht werden, dass Eigentümer M. „die Mieten für die Ab- tragung der Instandsetzungskosten“ trage „oder aber sonst wie für die Erstattung der Kosten“ aufkomme. „Eventuell“ sei auch in Er- wägung zu ziehen, ihn zu verklagen.“ 508 Ein derartig zögerlicher und zurückhaltender Umgang mit seiner klar gesetzwidrigenHand- lungsweise dürfte M. kaum in Angst und Schrecken versetzt haben. Seine Wohnung war renoviert und offenbar gut an eine Einheimi- sche vermietet. Nun hatte er augenscheinlich viel Zeit, die für die Instandsetzung aufgewandten Kosten in kleinen Raten abzuzah- len. Andere Eigentümer weigerten sich ganz einfach, von ihnen un- genutzten Wohnraum überhaupt instand zu setzen, wodurch sie verhinderten, dass sie anschließend Flüchtlinge unterbringenmuss- ten. Das Phänomen war zwischenzeitlich offenbar derart verbreitet, dass den kommunalen Behörden in dieser Frage erhebliche Kom- petenzen zugesprochen wurden – oder besser: werden mussten. So ermächtigte beispielsweise dieHochneukircher Gemeindevertretung am 24. Mai 1949 die Verwaltung, „die Instandsetzung beschädigter Das Rittergut Leuffen in Otzenrath, 1920er Jahre. Man ahnt, dass hier wohl noch das ein oder andere Zimmer frei gewesen sein könnte.
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