Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen

299 VOR ORT: FLÜCHTLINGE IN JÜCHEN Weil aber solch händeringend gesuchten Fachkräfte zumeist darauf bestanden, dass ihre Familien mit an denNiederrhein zogen und es zudem zu weiteren Zuzügen direkt aus der DDR kam, ent- standen zwangsläufig neue Sammellager. Die Übergangszeit bis zum Bau neuer Wohnungen, so hieß es Mitte 1956 in der Tages- presse, würden die Flüchtlinge im Kreisgebiet in elf solcher Mas- senquartiere verbringen, die zu jenem Zeitpunkt neben dem er- wähnten inOtzenrath noch in Neuenhoven, Büderich, Dormagen, Liedberg, Noithausen, Neuenhausen, Gohr, Butzheim, Vanikum und Zons bestanden und rund 550 Menschen beherbergten. Von ihnen - so zumindest die Hoffnung – sollten in den nächsten Mo- naten etwa 200 in „ordentlichenWohnungen“ untergebracht wer- den. Eine entsprechende Zahl neuer Flüchtlinge würde dann al- lerdings „aus demAufnahme-Soll 1956“ bis zumMärz 1957 wieder nachrücken.“ 515 Ein Jahr später hatte sich die Zahl der Sammelun- terkünfte auf acht mit noch immer 450 Insassen verringert, von denen sich mit jenen in Otzenrath und Neuenhoven noch immer zwei auf dem Gebiet der heutigen Gemeinde Jüchen befanden. Die Bleibedauer in diesen Einrichtungen, so wurde berichtet, be- laufe sich nach den bisherigen Erfahrungen auf durchschnittlich ein Jahr. Man rechnete zu diesem Zeitpunkt allerdings damit, dass dem Kreis mindestens bis Dezember 1957 keine weiteren Flücht- linge zugeteilt würden und erwartete daher eine zunehmende Ent- spannung der Lage. 516 Die Hoffnungen erfüllten sich jedoch nicht. Mitte Februar 1958 zählte man im Kreisgebiet wieder zwölf solcher Notunter- künfte, die von einer Kommission des Kreiswohlfahrtsausschusses besichtigt wurden. „Der Presse war dankenswerterweise Gelegen- heit gegeben, an dieser Rundfahrt teilzunehmen, und hatte so Ge- legenheit, im Laufe des Vormittags eine Anzahl von Notunter- künften verschiedenen Typs kennenzulernen. Vom Tanzsaal bis zum ordentlichen Steinbau. In diesen Notunterkünften sind zur Zeit insgesamt 580 Menschen untergebracht. Der überaus starke Zustrom von Flüchtlingen, der in unvermindertem Ausmaße an- zuhalten scheint, hat zur Folge, dass diese Familien durchschnittlich etwa 15 Monate in den Unterkünften ausharren, bis sie in endgül- tige, der Familiengröße entsprechende Wohnungen eingewiesen werden; hier spielen natürlich auch Probleme des Beschäftigungs- ortes und sonstiger persönlicher Verhältnisse, im übrigen Fragen der Finanzzuweisungen eine Rolle.“ 517 Es dürfte deutlich geworden sein, dass die Frage der Unterbrin- gung der Flüchtlinge und Vertriebenen eines der zentralen und zu- gleich lang andauerndsten Probleme der Nachkriegszeit darstellte. Betrachtet man das große Ensemble der beteiligten Akteure, lässt sich je nach konkretem Beispiel und Blickwinkel sicherlich Ver- ständnis für alle beteiligten Seiten generieren, denn jede und jeder suchte in aller Regel ja nichts anderes als ein möglichst behagliches Dach über demKopf der Familie. So verständlich Unterbringungs- probleme unmittelbar nach der Ankunft der Verriebenen auch wa- ren und zumeist von allen Seiten zunächst als gegeben akzeptiert wurden, so deutlich verschlechterten sich die Stimmungslagen in sämtlichen Lagern mit der Dauer des Lageraufenthalts und der Erkenntnis, dass von verantwortlicher Seite offenbar wenig getan wurde, um die prekäre Unterbringung zügig und dauerhaft zu ver- bessern. Dem, was in dieser Hinsicht und mit welchen Ergebnissen vor Ort unternommen wurde, gilt es im Kapitel „Wohnungsnot und Wohnungsbau“ intensiver nachzuspüren. Provisorische Bekanntmachungen und von der Gemeinde Bedburdyck am 1. Januar 1956 erlassene „Lagerordnung“

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