Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen
307 VOR ORT: FLÜCHTLINGE IN JÜCHEN Jüchen, Hackhausen, Dürselen, Kelzenberg, Elfgen und Reisdorf seien in dieser Angelegenheit am 13. März zu Verhandlungen zu- sammengetroffen, an denen auch der sechsköpfige Jüchener Flücht- lingsausschuss beteiligt gewesen sei. Bislang hätte bereits ein Teil jener Vermieter, die Flüchtlingen Wohnraum überlassen hätten, diese auchmit Gartenland ausgestattet. Seitens der Amtsverwaltung werde nunmehr angestrebt, „in kürzester Zeit jeder Flüchtlingsfa- milie ein Stück Gartenland zur Verfügung zu stellen“. Das war offenbar zu optimistisch gedacht, denn es stellte sich heraus, dass die Beschaffung von entsprechendemLand „auf erhebliche Schwie- rigkeiten“ stieß, weil „auf freiwilliger Grundlage kaum etwas er- reicht“ werden könne. Jene, die bereits zuvor mit Wohnraum ge- holfen hatten, zeigten sich zwar auch in dieser Frage hilfsbereit, aber die übrige landbesitzende Ortsbevölkerung verhielt sich wei- testgehend unkooperativ. Daher wurden die landwirtschaftlichen Ortsvertrauensmänner seitens der Jüchener Amtsverwaltung mit Listen von Interessenten ausgestattet und aufgefordert, unter Hin- zuziehung der Pfarrer umgehend Verhandlungen mit den Bauern aufzunehmen. Bis zum 1. April war Bericht zu erstatten, „welche Grundstücke zur Verfügung gestellt werden“. Die Suche nach geeignetemPachtland und willigen Verpächtern barg in mehrfacher Hinsicht erheblichen Konfliktstoff in sich. Zum einen reagierten die Landbesitzer auf jeden Versuch eines Eingriffs in ihre Besitzverhältnisse erfahrungsgemäß sensibel und harsch. Sofern sich unter solchen Voraussetzungen aber keine ko- operationswilligen Bauern fanden, mussten – zum anderen - die Kommunen mit ihren Ländereien einspringen. Deren unbebauter und ohnehin knapper Grundbesitz wiederum war aber schon seit langem an einheimische Kleingärtner verpachtet, denen man nun mitteilen musste, dass ihre Verträge zugunsten der Flüchtlinge kurzfristig aufgekündigt werden müssten, was ihnen natürlich die auch von ihnen dringend benötigten Erträge aus den Kleingärten entzog. Amtsdirektor Lesaar sah sich etwa mit einem Fall konfrontiert, in dem er fünf Flüchtlingsfamilien in Elfgen Land zur Verfügung stellen musste, ohne den bisherigen Pächtern Ausgleichsflächen anbieten zu können. Die Problemlage stand im klar vor Augen, wusste er doch, dass auch diese einheimischen Pächter „zum großen Teil auf den Erwerb aus dem gepachteten Land angewiesen“ waren. Dennoch musste er ihnen im März 1947 zum 1. Mai kündigen, wobei die Amtsverwaltung auch noch darauf drang, dass die Gärten den neuen, unter solchen Umständen sicherlich als Eindringlinge empfundenen Pächtern wegen der unbedingt notwendigen Früh- jahrsbestellung bereits zum 1. April zur Verfügung zu stellen seien. Natürlich hatte Lesaar zuvor in mehreren Anläufen versucht, die mit erheblichem Landbesitz ausgestatten Bauern der Gemeinde zur freiwilligen Bereitstellung von Land zu bewegen, ohne hierbei auch nur den kleinsten Teilerfolg erzielen zu können. Der zustän- dige Ortsbürgermeister teilte ihm kurz, knapp und deutlich mit, „dass auf freiwilliger Grundlage in Elfgen kein Gartenland zu be- kommen sei“. Die Vergabe von Siedlungsland gestaltete sich für die kommu- nalen Verwaltungen also unbefriedigend, konfliktträchtig und ar- beitsintensiv. Der sichtlich verärgerte Amtsdirektor teilte dem Oberkreisdirektor daher mit, dass „von den verschiedensten Stellen ständig die Bereitstellung vonGartenland für Flüchtlinge gefordert“ werde. „Hierbei wird übersehen, dass trotz der eifrigsten Bemü- hungen seitens der Gemeinden auf freiwilliger Grundlage nichts mehr erreicht wird.“ Daher bleibe „nur der Weg der Kündigung gegen denWillen des Pächters“, was wiederum lange Verhandlun- gen beimKleingartenamt oder beim Pachteinigungsamt nach sich ziehe. „Solche Bemühungen auf sich zu nehmen, kann Verpächtern, die bereit sind, Teile ihres Landes für Flüchtlinge freizumachen, nicht zugemutet werden.“ Schließlich gelang es den Jüchener Ortsvertrauensmännern in zähen Verhandlungen und wohl nicht ganz ohne Druck doch noch, acht Bauern zu bewegen, Land zur Verfügung zu stellen, das in der Größe von jeweils rund 300 qm anschließend auf die inte- ressierten Familien – „fast ausschließlich Ostflüchtlinge“ – verteilt wurde. Der Pachtpreis pro Kleingarten betrug jährlich 6,- RM. Bis zum 6. Mai 1947 waren im Amtsbezirk Jüchen dann bereits an 86 Bewerber – „in der Hauptsache Flüchtlinge“ – Kleingärten verge- ben worden; weitere zwölf Familien, so berichtete Amtsdirektor Lesaar nicht ohne Stolz auf das Erreichte nach Grevenbroich, seien bereits vorgemerkt. Drei Tage zuvor hatte die Jüchener Amtsver- tretung auf Grundlage des Erlasses aus Düsseldorf vom 5. März 1947 im Übrigen auch einen „Gemeindesiedlungsausschuss“ ins Leben gerufen. Offenbar wurde in der Frage der Verteilung von Kleingärten aber nicht überall ein derart großes Engagement an den Tag gelegt wie in Jüchen. Am 7. Juli 1947 sah sich der Düsseldorfer Regie- rungspräsident jedenfalls veranlasst, nochmals auf seine Rundver- fügung zur „Förderung des Siedlungswesens“ vom 21. April des Jahres aufmerksam zu machen und zugleich auf die „bedauerliche Tatsache“ hinzuweisen, dass ihm bislang „auffallend wenig Berichte über die gebildeten Siedlungsausschüsse“ zugegangen seien. Über- haupt seien die „imErlass gegebenen Anregungen bei weitem nicht überall mit der erwarteten Bereitschaft und dem erforderlichen Schwung aufgegriffen und gefördert worden“. Auch das nordrhein- westfälischeMinisterium fürWiederaufbau sah sich am 27. August 1947 mit Verweis auf den Erlass vom 5. März des Jahres veranlasst, in einer als „sehr eilig“ klassifizierten Rundverfügung darauf hin- zuweisen, dass hinsichtlich der dringenden „Förderung des Sied- lungswesens“ vielfach „die Bemühungen der Gemeinden“ noch immer nicht zum Abschluss gekommen seien, „da entweder die Verhandlungenmit den Grundeigentümern oder Nutzungsberech- tigten zur Überlassung des Landes auf Grund freier Vereinbarung noch nicht zu Ende geführt werden konnten oder aber über in- zwischen zur Enteignung vorgesehenes Land eine Entscheidung noch nicht getroffen worden“ sei. Viele Grundeigentümer, so die
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