Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen
308 VOR ORT: FLÜCHTLINGE IN JÜCHEN Analyse der bisherigen Erfahrungen, würden versuchen, „die Sied- lungsmaßnahmen dadurch zu durchkreuzen, dass sie die in Betracht kommenden Flächen schnellstens bestellen, in der Hoffnung, sie dadurch zumindest für ein weiteres Jahr dem Zugriff der Gemein- den entziehen zu können“. Nachdem daraufhin am 2. September 1947 im Düsseldorfer Regierungspräsidium eine erneute Besprechung zumThema „För- derung des Siedlungswesens“ stattgefunden hatte, teilte die Gre- venbroicher Kreisverwaltung den Gemeinden am 19. des Monats mit, dass die „Dringlichkeit der Landbeschaffung“ durch die Kom- munen festgestellt worden sei. „Nicht nur für Kleingärtner, sondern auch für Kleinsiedlungen ist Land zur Verfügung zu stellen, ohne Rücksicht darauf, ob die Kleinsiedlungen auch direkt errichtet werden können.“ Es dürfe seitens der Gemeinden nichts unversucht bleiben, „um geeigneten Bewerbern zu einem Erfolg zu verhelfen“. Zugleich wurde eine erste Bilanz gezogen: Bislang wären imKreis- gebiet 2.300 Bewerbern ein Kleingarten, aber lediglich vier eine Siedlerstelle zur Verfügung gestellt worden, während 1.500 Anträge von Kleingärtnern und 884 von Kleinsiedelern bislang nicht hätte entsprochen werden können. 527 Auf Anweisung des Regierungs- präsidenten forderte der Oberkreisdirektor die Gemeindeverwal- tungen bis zum 15. Oktober 1947 zur Berichterstattung darüber auf, wie vielen Bewerbern „in den nächsten Monaten“ ein Klein- garten und wie vielen eine Kleinsiedlerstelle zugewiesen werden könne. Aus Jüchen wurde daraufhin zum Stichtag mitgeteilt, dass in näherer Zukunft 28 Anträge auf einen Kleingarten bewilligt werden könnten, weitere 64 Bewerbungen für Kleingarten oder Kleinsied- lerstellen aber zunächst unerfüllt bleiben müssten, weil hierfür kei- nerlei Flächen verfügbar seien. Ihre Blockadehaltung war aus Sicht der Landwirte gerade hinsichtlich der Siedlungsstellen durchaus nachvollziehbar, denn einmal bebaut, was das Land für sie dauerhaft verloren. An diesem Zustand änderte sich bis zu einer neuerlichen Abfrage am 10. Dezember 1947 nichts Wesentliches. Nunmehr waren im Jüchener Amtsbezirk 95 Interessenten – darunter 49 Ostvertriebene - mit Gartenland versehen worden, während 58 weitere noch auf eine Zuteilung warteten. Zugleich wurde her- vorgehoben, dass die „Beschaffung des Landes“ mit „erheblichen Schwierigkeiten“ verknüpft sei, wobei hinsichtlich etwaiger Flächen für Kleinsiedlungen wiederum „Fehlanzeige“ erstattet werden musste. Am 8. März 1948 bewirtschafteten dann 110 Interessenten – darunter 55 Flüchtlinge – in Jüchen einen Kleingarten, während 49 weiterhin vergeblich ausharrten. Als eines der Hauptprobleme galt nun, dass das wenige noch verfügbare Land für die Kleingärtner oft zu weit von den Ortschaften entfernt lag. Bis zum 23. März 1948 waren im Amtsbezirk Jüchen schließlich 209 Anträge auf Kleingärten (160 erfüllt, 49 unerfüllt) gestellt worden, aber offen- bar weiterhin lediglich vier auf eine Kleinsiedlerstelle. Im Laufe des Jahres ging das Interesse an Kleingärten dann aber – als Folge der Währungsreform – erheblich zurück. Hatte man imAmtsbezirk Jüchen 1947 noch 65 Neuanträge von potenziellen Kleingärtnern registriert, waren es 1948 nur noch sechs. Dafür stieg seit der zweiten Jahreshälfte 1948 – auch das sicherlich eine direkte Konsequenz aus dem Währungsschnitt - die Zahl der In- teressenten an einer Kleinsiedlerstelle deutlich an. Hatten bis Ende November 1948 lediglich fünf solcher Anträge vorgelegen, von denen keinem entsprochen werden konnte, waren es ein Jahrspäter bereits 22, von denen immerhin die ersten vier bewilligt worden waren. In Hochneukirch machte man vergleichbare Beobachtungen. Hier war die „kleingärtnerische Bewirtschaftung“ im Jahre 1947 angeblich – und ohne Nennung konkreter Zahlen - durch Bereit- stellung von Ackerland durch die Landwirte „weitgehendst geför- dert“ worden. In der Gemeinderatssitzung am 16. Januar 1948 hatte man die Zuweisung von Land an Kleingärtner –„insbesondere auch für Flüchtlinge“ - diskutiert und die hiermit in Zusammen- hang stehenden Aktivitäten als „wichtige soziale Angelegenheit“ hervorgehoben. Bei gleichem Anlass war zudem beschlossen wor- den, dass die für diesen Problemkreis ins Leben gerufene Kom- mission „die erforderlichen Arbeiten umgehend aufnehmen“ solle. Nach der Währungsreform verringerte sich die Zahl der Pachtbe- werber aber auch in Hochneukirch kontinuierlich. Es sei, so klagte das Hochneukircher Amtsblatt im Juni 1951, „ein betrübliches Zeichen der heutigen Zeit, dass hier das Interesse für die Klein- gartenwirtschaft derart gesunken“ sei. 528 Tatsächlich handelte es sich um eine Art „Zeitzeichen“, denn nicht ohne Grund endet die Akte imGemeindearchiv Jüchen, der die Informationen zum Thema „Kleingärten“ entnommen sind, mit demEintrag des seit 1948 zu verzeichnenden deutlichen Rück- gangs. Damit symbolisiert sie deutlich den Übergang von einer notdürftigen Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge und Vertriebenen hin zum Wohnungsbau und damit zur dauerhaften Sesshaftigkeit der Neubürger am Niederrhein. Finanzielle Beihilfen Mit der Währungsreform gingen weitere grundlegendeWandlun- gen einher, die auch mit Blick auf das Thema „Flucht und Vertrei- bung“ unmittelbare Auswirkungen auf die kommunalen Aufgaben und Tätigkeiten zeitigten. Nunmehr ging es in erster Linie nicht mehr um eine direkte materielle Unterstützung von bedürftigen Personen, sondern immer stärker um finanzielle Beihilfen - ein Phä- nomen, das hier allerdings nur knapp skizziert werden soll. Nach dem 20. Juni 1948 wurde ein „strenger Maßstab bei der Gewährung von Anträgen auf Beihilfen“ von Flüchtlingen von den Aufsichtsbehörden umgehend zur „zwingenden Notwendig- keit“ erklärt. Auch die Kreisverwaltung in Grevenbroich versuchte umgehend, die Unterstützung von Flüchtlingen zu zentralisieren und deshalb in die eigene Verantwortung zu übernehmen. Künftig mussten alle diese Anträge zur einheitlichen Bearbeitung an das
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