Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen
325 VOR ORT: ANPASSUNG ODER INTEGRATION? kommener lokaler Strukturen besonders tief im „Gedächtnis“ der Dörfer verankern. Dabei sahen sich viele Kommunen angesichts ihrer vielfältigen anderen Belastungen und aufgrund fehlender Mittel zunächst nicht einmal in Ansätzen in der Lage, auf diesemGebiet tätig zu werden. Im gesamten Jüchener Amtsbezirk etwa hatte man bis Anfang 1947 lediglich vier neue Scheunen errichte, denen bis zur Wäh- rungsreform zwei weitere landwirtschaftliche Gebäude sowie ein Pförtnerhaus und eine Lagerhalle bei der Firma Schwartz & Klein folgten. Immerhin entstanden im Ort bis Mitte 1948 auch sechs „private Wohnungsbauten“. Nach derWährungsreformsetztemit einer zeitlichenVerzögerung seit 1949 eine rege Bautätigkeit ein. Im Frühjahr 1949 forderte die GrevenbroicherKreisverwaltung dieGemeinden auf, eineAufstellung des verfügbaren Baugeländes vorzunehmen und „Überlegungen an- zustellen, wie auf dem Wege der Selbsthilfe (körperliche Mitarbeit, Eigenkapital in Form von Geld oder Baugrundstücken) oder durch Heranziehung von Industrie und Landwirtschaft zusätzliche Mittel geschaffen werden können“. Als die Kreisverwaltung dann Anfang 1951 eine erste Zwischenbilanz zog, stellte sich heraus, dass zwischen dem April 1949 und Februar 1951 lediglich 771 Wohnungen aus den sogenannten „Flüchtlingsmitteln“ erbaut worden waren. Die Wohnungsnot hielt also unvermindert an, waren imKreisgebiet doch noch immer rund 25.000 Personen unzureichend untergebracht. 576 Jüchen Infolgedessen betrachtete es auch die Gemeindeverwaltung Jüchen als eine ihrer „Hauptaufgaben“, schnellstmöglich „Gelder für den sozialen Wohnungsbau und die Verschönerung des Ortes frei zu machen“. Diese Aufgabe, so heißt es in der Gemeindechronik, sei „umso dringender“ erschienen, „als die Zahl der aus dem Osten zu übernehmenden Flüchtlinge immer größer“ geworden sei. Ande- rerseits waren der Verwaltung die Hände weitgehend gebunden, weil „beim Währungsschnitt alle angesammelten Rücklagen von 633.688,35 RM“ verlorengegangen waren. „Da die Gemeinde kei- nerlei Aufwertung erhielt, stand sie vor leeren Kassen.“ Ein erster Silberstreif amHorizont sei erst 1949 aufgetaucht, als den Kommu- nen die Erhebung der Gewerbesteuer übertragen worden sei. Weil die lokale Textilindustrie gut beschäftigt war, sprudelten entspre- chend hohe Steuereinnahmen in den Gemeindehaushalt. Dennoch musste die Errichtung vonWohnungen zunächst weiterhin zurück- stehen, denn zunächst sah man sich gezwungen, die nun verfügba- ren Mittel „zur Behebung der größten Missstände in den Schulgebäuden“ aufzuwenden. ZumGlück für die Gemeinde wurde nun aber die lokale Wirtschaft und hier in erster Linie das Unter- nehmen Schwartz & Klein aktiv. Die Firmen benötigte dringend Arbeitskräfte, die es unterzubringen galt, so dass sie 1949 begann, „den sozialen Wohnungsbau eifrig zu fördern“ und die ersten elf Neubauten für Arbeiter und Angestellte zu errichten. 577 Die Kommune selbst wurde im Wohnungsbau aufgrund un- aufschiebbarer Investitionen in andere Infrastrukturmaßnahmen erst sehr viel später aktiv 578 Zwar war durch den Gemeinderat be- reits am 9. November 1948 ein „Siedlungsausschuss“ ins Leben gerufen worden, doch stellte man bald darauf fest, dass in Jüchen „überhaupt kein direktes Siedlungsgelände vorhanden“ sei. Dabei waren es dann offenbar nicht Gemeinderat und Verwaltung, die in dieser so wichtigen Frage Initiative entwickelten, sondern die „Ortsgruppe Jüchen“ des „Siedlerbundes ‚Deutsche Bodenbewer- ber‘“. Sie schlug im August 1949 als Bauland geeignetes Gelände vor, führte Gespräche mit dessen Besitzern und forderte die Kom- mune öffentlich zum Handeln auf. Ende September wurde dann die Notwendigkeit zur Erstellung eines Bebauungs- und Wirt- schaftsplans anerkannt und zugleich beschlossen, Gespräche mit den Erben des brachliegenden Ziegeleigeländes am alten Ringofen zu führen. Daraufhin wurde das „Gelände an der Ziegelei“ in der Gemeinderatssitzung am 31. Oktober 1949 „zum Siedlungsgebiet erklärt, so dass bei der Regierung sofort der Antrag auf Bestätigung gestellt werden kann“. Es dauerte jedoch ein weiteres Jahr, bis der Jüchener Gemeinderat am 25. September 1950 „Teilbebauungs- und Siedlungsplan“ für das Gelände genehmigte und Richtlinien für Verkauf undAufteilung der Grundstücke aufstellte. Die Trägerschaft zur Durchführung des Siedlungsvorhabens mit insgesamt 14 Siedlerstellen wurde der „Rheinischen Heimstätte“ in Düsseldorf übertragen. Alle Interes- sierten hatten einen „Siedler-Fragebogen“ und den „Antrag auf Zu- teilung einer Kleinsiedlerstelle“ auszufüllen. Das Interesse der alt- eingesessenen und damit über Wohnraum verfügenden Jüchener an diesemVorhaben scheint nicht eben groß gewesen zu sein, denn im März 1951 sah sich der Gemeinderat veranlasst, zur „Straßen- Jüchen um 1935. Vorne rechts Haus Katz, im Hintergrund links der Ringofen, der 1949/50 abgerissen wurde, um Platz für neue Wohnungen zu schaffen.
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