Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen

327 VOR ORT: ANPASSUNG ODER INTEGRATION? gefeiert. Außerdem wurde 1952 beschlossen, die bis dahin von „drei größeren lagermäßig untergebrachten Flüchtlingsfamilien“ bewohnten beiden Klassenräumer der altenMädchenschule in der Kirchstraße zu zwei Vierzimmerwohnungen umzubauen, die be- reits kurz vor Weihnachten von zwei Flüchtlingsfamilien bezogen werden konnten. Dennoch, so der Gemeindechronist auf dem Stand von 1953, sei die Wohnungsnot in Jüchen angesichts der zahlreichen Flüchtlinge „noch immer sehr groß“. 579 Es dauerte bis 1955, ehe die Gemeinde neues Siedlungsgelände am Kotthundsweg erwarb, auf dem noch im gleichen Jahr die ersten Häuser errichtet wurden. Insgesamt sollten hier 80 Woh- nungen entstehen, wobei die Eigenleistung der Siedler auf 4.000 bis 5.000 DM beziffert wurde. Am 18. April 1956 konnte das Richtfest für die ersten fünf Doppelhäuser mit 20 Wohnungen gefeiert werden. Als Amtsdirektor Allwicher im gleichen Jahr einen Überblick über die Bautätigkeit in Jüchen seit derWährungsreform gab, lobte er – wie kaum anders zu erwarten – die Arbeit der Ver- waltung. Die Gemeinde habe mit dem Erwerb der beiden Sied- lungsgebiete „den Anstoß zu einer allgemeinen Baufreudigkeit“ gegeben. Von den zu jenem Zeitpunkt insgesamt 1.050 in Jüchen stehenden Häusern seien allein 120 seit der Währungsreform erbaut worden. Es stünden – unter anderem am Kotthundsweg – weitere Bauten in öffentlicher und privater Trägerschaft an, so dass hoffentlich bald auch jenen immerhin noch 140 Familien, die in Jüchen weiterhin eineWohnung suchen würden, geholfen werden könne. Insbesondere mit Blick auf die Zuwanderer zeichnete All- wicher ein überaus positives Bild: „Dem Rat ist es gelungen, 900 Flüchtlinge in menschenwürdigen Wohnungen unterzubringen und in den Arbeitsprozess einzugliedern. Es gebe heute in Jüchen keine Massenquartiere mehr.“ 580 Wenn es zu diesemZeitpunkt in der Gemeinde wohl tatsächlich keine notdürftigen Sammelunterkünfte mehr gab, so war das Bild wohl doch etwas zu rosig gezeichnet. Das hing insbesondere mit der noch immer andauernden Zuweisung von SBZ-Flüchtlingen und den zu deren Aufnahme verfügbaren Mitteln zusammen. Als es im Februar und März 1955 um die Vergabe vonWohnungen in der neuen Siedlung am Kotthundsweg ging, teilte Amtsdirektor Allwicher dem Bau- und Siedlungsausschuss mit, Landesmittel würden nur dann zur Verfügung stehen, wenn insgesamt 32 der neueingetroffenen SBZ-Flüchtlinge in Einliegerwohnungen der Neubausiedlung untergebracht würden, was zugleich hieß, dass Jüchen zusätzlich zu der sich für den Ort damals aktuell auf 20 Personen belaufenden „Soll-Zuweisung“ zwölf weitere Flüchtlinge aufnehmen musste, um in den Genuss der Fördergelder zu kommen. 581 Zugleich bedeutete das aber auch, dass diese „späten“ Flüchtlinge umgehend begehrten Wohnraum bekamen, auf den die Zuwanderer der Jahre 1946/47 ebenso wie Einheimische schon seit langem vergeblich warteten. Die Neuß-Grevenbroicher-Zei- tung hatte zu diesem Problem bereits imNovember 1953 bemerkt: „Die heimische Bevölkerung hat sich nur schwer damit abfinden können, dass für die erst verhältnismäßig kurze Zeit im Kreis wei- lenden SowjetzonenflüchtlingeWohnungen bereitgestellt wurden, während andere jahrelang auf die Befriedigung ihrer berechtigten Wohnungsansprüche warten.” 582 Bis Anfang 1955 hatte man im Kreisgebiet rund 400 aus der SBZGeflohene in neuenWohnungen unterbringen können, die im Rahmen des „Sowjetzonenpro- gramms“ erbaut worden waren. In Bedburdyck, so hieß es in der Presse, wo noch 65 Flüchtlinge unterzubringen seien, wären 20 Wohnungen rohbaufertig, in Jüchen neunWohnungen für 42 Per- sonen fertiggestellt und weitere 12 für 39 Flüchtlinge geplant. 583 Allein zwischen dem 1. April 1953 und Mai 1957 wurden sechs solcher „SBZ-Bauprogramme“ aufgelegt. 584 Dass hinsichtlich der Wohnsituation vieler Zugezogener aber auch danach noch immer einiges imArgen lag, geht auch aus einem Bericht der Jüchener Gemeindechronik über das am 18. Oktober 1958 stattfindende Richtfest für drei Häuserblocks mit insgesamt 18Wohnungen hervor, die einHochneukirchner Bauunternehmer auf eigene Kosten errichtet hatte. Auch diese Wohnungen waren laut Chronik für Sowjetzonenflüchtlinge bestimmt, „die augen- blicklich noch in unmöglichen Wohnverhältnissen leben“. 585

RkJQdWJsaXNoZXIy MTI5NTQ=