Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen
33 DIE RAHMENBEDINGUNGEN: DIE LAGE IM OSTEN der vier Besatzungszone untergekommen. 63 1950 stellten sich Flucht und Vertreibung zahlenmäßig dann so dar: MOBILITÄT UND TOD Wenn Zahlen auch nur ein sehr unzureichender Parameter sind, um das durch Kriege und deren Folgen verursachte Leid der – oft- mals an den Konflikten völlig unbeteiligten - Menschen zu erfas- sen, sollen hier einige Annäherungswerte skizziert werden, um so die Auswirkungen des von deutscher Seite initiierten Krieges zu- mindest erahnen zu lassen. Insgesamt wurden während des Zweiten Weltkriegs in Europa mehr als 92 Millionen Menschen mobilisiert, so dass es nicht ver- wundert, dass kurz vor und nach dem Kriegsende im Mai 1945 etwa zwei Drittel der deutschen Bevölkerung unterwegs waren. Zu ihnen zählten die Evakuierten aus den bombenbedrohten Bal- lungsgebieten, die sich – ob in privater Initiative, mittels amtlich angeordneter Evakuierung oder im Rahmen der „Kinderlandver- schickung“ – außerhalb ihrer angestammtenWohnbezirke aufhiel- ten. Unmittelbar nach Kriegsende gab es in Deutschland rund zehn Millionen ehemalige Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, die als so genannte „displaced persons“ (DPs) zunächst für kurze Zeit ohne Überwachung und Kontrolle waren und dann – wie am Beispiel Jüchens zu zeigen sein wird - in großen Lagern unterge- bracht wurden, was einschließlich ihrer „Repatriierung“ immense materielle und personelle Ressourcen erforderte. Allein von Mai bis September 1945 wurden unter alliierter Federführung mehr als 4,6 Millionen Menschen in regulären Transporten aus den Westzonen in ihre Ursprungsländer zurückgeführt. Im Frühjahr 1947 hielten sich in der britischen Zone aber noch immer rund 575.000, in der amerikanischen etwa 275.000 DPs auf. Während des Krieges waren 10,7Millionen deutscheMänner zurWehrmacht eingezogen worden, von denen rund 3,8Millionen umkamen oder vermisst blieben. Etwa siebenMillionen gerieten in Gefangenschaft, von denen die meisten bis 1949 - allein geschätzte fünf Millionen im Jahr 1945 - zurückkehrten. Solch nüchterne Zahlen können aber trotz ihrer Höhe nur vage erahnen lassen, welch schreckliche Erlebnisse für die Beteiligten oft damit verbunden waren, und noch weniger, wie sie diese zu- mindest zeitweilige „Entwurzelung“ dann psychisch verarbeiteten. 67 Sie verdeutlichen aber, dass in den erstenMonaten nach Kriegsende nahezu eine ganze Gesellschaft „unterwegs“ war, ohne in vielen Fällen zu wissen, wen man „zuhause“ antreffen oder wo dieses „zu- hause“ überhaupt sein würde. Viele der Betroffenen erreichten dieses Ziel aber nie. Die Zahl der Menschen, die als Folge von Verfolgung undWeltkrieg ihr Le- ben verloren, ist unvorstellbar. Allein die Gesamtzahl an Zivilisten, die durchMassenvernichtung, Kampfhandlungen, Ermordungen, Partisanenkrieg und aus anderen Gründen umkamen, wird auf 25 bis 30 Millionen geschätzt, davon in Europa fast 15 Millionen. Hinzu kommen noch rund neunMillionenMenschen, die in Kon- zentrationslagern, Gefängnissen und anderen Stätten der Verfol- gung und Massenvernichtung ermordet wurden, darunter etwa sechs Millionen Juden. Für Deutschland wird die Zahl der Zivil- toten auf etwa 3,65 Millionen geschätzt, bis zu zwei Millionen von ihnen als Folge der Vertreibung und zwischen 380.000 und 540.000 Opfer des Bombenkrieges. Insgesamt hat der ZweiteWelt- krieg 53 Millionen Tote gefordert, wobei die Sowjetunion und Polen die höchsten Verluste zu beklagen hatten. Schätzungen gehen davon aus, dass allein die UdSSR zwischen 20 und 30 Millionen tote Zivilisten und Soldaten zu beklagen hatte. 68 Man schätzt, dass bis zu 14 Millionen Vertriebene 69 in die vier deutschen Besatzungszonen bzw. in die Bundesrepublik und die DDR gelangten, während 2,5 Millionen Deutsche freiwillig oder zwangsweise in den Vertreibungsgebieten zurückblieben. Die An- HERKUNFT ZAHL Deutsche Ostgebiet davon: 6.980.000 Ostpreußen/Westpreußen 1.890.000 Pommern 1.470.000 Brandenburg 410.000 Niederschlesien 2.410.000 Oberschlesien 800.000 Freie Stadt Danzig 290.000 Polen 690.000 Tschechoslowakei 3.000.000 Baltische Staaten 170.000 Sowjetunion 100.000 Ungarn 210.00 Rumänien 25.000 Jugoslawien 300.000 Österreich 80.000 Übriges Europa 135.000 Übersee 20.000 Gesamt 12.225.000 dazu: Vertriebene ohne Heimatverlust 525.000 Insgesamt 12.750.000 FLÜCHTLINGE UND VERTRIEBENE IN DEUTSCHLAND (STAND 1950) 66
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