Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen
333 VOR ORT: ANPASSUNG ODER INTEGRATION? Haltung wollte man aber versuchen, Baugelände für 20 der gefor- derten „Einfachwohnungen“ zu beschaffen, während eine etwaige Bauträgerschaft der Gemeinde energisch abgelehnt wurde. Diese neue Konkurrenz für „alte“ Flüchtlinge wurde über das Amtsblatt offen kommuniziert. Allein der in Arbeit befindliche „Bau von Volkswohnungen und Kleinsiedlungen“, so hieß es dort, würde die Möglichkeit eröffnen, „Einheimische und die bereits jahrelang hier wohnenden Flüchtlinge in menschenwürdigen Wohnungen un- terzubringen.“ Die geplanten Einfachwohnungen würde die Ge- meindevertretung „in ihrer primitiven Form“ hingegen ablehnen. 607 – Näheres über den Fortgang der Angelegenheit war den Quellen nicht zu entnehmen. Immerhin wurde der imMai 1950 begonnene Bauabschnitt an der neuen Siedlung zumEnde des Jahres erfolgreich abgeschlossen. „Die Wohnungsnot in unserem Ort“, so heißt es in der Chronik der evangelischen Volksschule, habe „eine kleine Linderung erfah- ren, da um die Weihnachtszeit die ersten zehn Siedlungsbauten am Südrand des Dorfes fertiggestellt“ worden seien. „Damit haben zwanzig Familien ein neues Heim gefunden.“ Dennoch bleibe die Wohnraumfrage weiterhin „das dringendste Problem für die Ge- meinde“, gebe es doch noch immer 56 wohnungssuchende Fami- lien, „deren Fälle als dringendst bezeichnet“ werden müssten, wäh- rend weitere 65 Fälle als „dringend“ und weitere 34 als „durchschnittlich“ eingestuft würden. „Man hofft im kommenden Jahr wieder einige Häuser errichten zu können, um langsam zu normalen Wohnverhältnissen zu kommen.“ 608 Tatsächlich verpflichtete sich die Gemeinde Hochneukirch am 14. Dezember 1950 „unwiderruflich“ zum Bau von weiteren 32 Eigenheimen durch die Rheinische Heimstätte und zur Übernahme sämtlicher Erschließungskosten. Zugleich wurden die künftigen „Eigenheimer“ verpflichtet, „sich bei der Ausführung dieser Ar- beiten mit Selbsthilfeleistung zu beteiligen“. Sowohl für die Ei- gentumswohnungen als auch für die Einliegerwohnungen, so wurde betont, kämen nur „echte Flüchtlinge der Kategorie A“ in Betracht. Die wurden umgehend per Bekanntmachung zur Anmeldung ihres Bedarfs aufgefordert. „Die bis zum 21. 6.1948 hier eingewiesenen Vertriebenenfamilien haben die Gelegenheit zu einem Eigenheim in der Gemeinde Hochneukirch zu kommen. Der Eigenheimbau enthält 2 Wohnungen, Erd- und Obergeschoß mit je 3 Räumen und Zubehör.“ Allerdings müssten die Interessenten „in gesicherten Verhältnissen stehen“. Daher sei die Vorlage von Lohnbescheini- gungen aller Familienangehörigen erforderlich. Es könne, so der Appell, „Vertriebenen-Familien nur geraten werden, sich an dieser Wohnungsbeschaffungsaktion weitgehendst zu beteiligen“. Der Aufruf war nicht ganz uneigennützig, denn es war unbedingt er- forderlich, „dass recht viele Flüchtlinge der obengenannten Gruppe sich für diese Eigenheimbauten melden, damit die Gemeinde auch tatsächlich in Zusammenarbeit mit der Rheinischen Heimstätte dieses Projekt durchführen kann.“ 609 Es war aber nicht nur die politische Gemeinde in Kooperation mit der Rheinischen Heimstätte, die Siedlungsbauten errichtete, sondern auch die katholische Kirchengemeinde mit zwölf Morgen Bauland und die Deutsche BauernsiedlungsgesellschaftDüsseldorf waren in diesem Sinne inHochneukirch aktiv. Als das ausgewiesene Siedlungsgelände bis zum Frühjahr 1952 in fünf großen Abschnit- ten bebaut worden war, fasste der seit dem 4. März 1951 in Hoch- neukirch tätige Pastor Vieth seine Erfahrungen mit dem Sied- lungsvorhaben in der Pfarrchronik zusammen. Hinsichtlich der mit dem Siedlungsbau sicherlich verknüpften Hoffnungen auf eine bessere Integration der Zugezogenen war Vi- eth wenig hoffnungsvoll. Aus seinem katholischen Blickwinkel, aber auch auf Grundlage der geografischen Lage des Neubaugebiets sah er vielmehr erhebliche Probleme auf den Ort zukommen. Die „verschiedenartige Auffassung der Siedlungsgesellschaften“ sei im Stil der Siedlung „sehr klar zu erkennen“, bemerkte er ohne nähere Erläuterung. Außerdem bemängelte er, dass das bebaute Gelände „den Eindruck eines neuen Ortsteiles“ erwecke und daher imDorf bereits die amtliche Bezeichnung „Hochneukirch-Süd“ trage. Dann kam er auf die vor allem konfessionell bedingten Integrationsbar- rieren zu sprechen. „Es ist bisher sehr schwierig gewesen, diesen Ortsteil organisch mit dem altenHochneukirch zu verbinden. Zu- nächst wohnen dort viele Heimatvertriebene mit einem gewissen Eigenleben, ferner sind viele Familien nicht katholisch, und durch eigene Feste (Siedlerfest-Kirmes) wird die Eigenart von Hochneu- kirch-Süd besonders betont.“ Der Geistliche sah die Geschlossen- heit seines Pfarrbezirks durch die protestantischen Zuwanderer aus dem Osten offenbar in akuter Gefahr: „Wenn auch ganz her- vorragende katholische Familien dort wohnen, so ist doch sehr zu bedauern, dass das Sektenwesen dortselbst stark Wurzel gefasst hat und eine ausgedehnte Propaganda entfaltet. Nach Ansicht des Chronisten wird dieser Ortsteil stets ein großes Sorgenkind der Seelsorge sein.“ 610 Das „neue“ Hochneukirch mit evangelischer Kirche und der neuen Siedlung in der Rosenstraße. Die Straßen in Hochneukirch-Süd wurden damals nach Blumen benannt.
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