Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen

334 VOR ORT: ANPASSUNG ODER INTEGRATION? Garzweiler und der Braunkohletagebau Zu diesem Zeitpunkt war es aber bereits zu einer Kollision zweier Entwicklungen gekommen, die den sozialen, in Teilen aber si- cherlich auch den privatenWohnungsbau in einigen der Orte auf dem heutigen Jüchener Gemeindegebiet erheblich und nachhal- tig beeinträchtigen sollte. Bereits am 1. April 1949 hatten Ver- treter des Oberbergamts im Rahmen einer Besprechung über den Wirtschaftsplan der Gemeinde Hochneukirch im Düsseldorfer RegierungspräsidiumPläne vorgestellt, „wonach der Braunkohlen- Tagesabbau von Frimmersdorf über Garzweiler gegen Otzenrath vorangetrieben werden soll“. Hiergegen legte die Gemeindevertre- tung in ihrer Sitzung am 13. März 1949 „schärfste Verwahrung“ ein und begründete ihren Standpunkt neben historischen und wirtschaftlichen Erwägungen auch mit der Lage der „Ostflücht- linge“ in den betroffenen Orten. Nachdem es denen „endlich ge- lungen“ sei, „hier Fuß zu fassen“, würde ihnen die gerade neu gewonnene Heimat durch die Pläne zur künftigen Entwicklung des Braunkohletagebaus wieder genommen. Außerdem baten die Ge- meindevertreter dringend um schnelle Entscheidungen in dieser Frage, weil im zur Gemeinde Hochneukirch zählenden Otzenrath aufgrund der unklaren Zukunft bereits „in baulicher Hinsicht eine vollständige Stagnation eingetreten“ sei. 613 Die Beschlusslage blieb jedoch zunächst unverändert. Ende Januar 1952 wurde bekannt, dass die Orte Belmen, Reisdorf und Priesterath als erste dem Braunkohletagebau weichen und verlegt werden sollten. Elfgen, Garzweiler und Otzerath seien dann die nächsten Dörfer, denen dieses Schicksal drohe. Als am 9. De- zember 1952 die Abbaugrenzen festgelegt wurden, richtet Pfarrer Haarbeck von der evangelischen Kirchengemeinde Jüchen im Namen des Presbyteriums ein besorgtes Schreiben an den Braun- kohlenausschuss beim Regierungspräsidenten in Köln: „Nach eindeutigen Zeitungsberichten wollen Sie unter anderem die zu unseremGemeindebezirk gehörenden Dörfer Stolzenberg, Pries- terrath, Belmen und Elfgen verschwinden lassen und nicht nur die Dörfer, sondern das ganze dazugehörende, in der Bonitierung sehr hoch stehende Ackerland. Um der Bevölkerung willen, die dort nachweislich seit Jahrhunderten ansässig ist, um der Bauern willen, die dort seit Generationen auf ihren Höfen sitzen und jahrein, jahraus ihre Scholle bearbeiten, um der armen Ostver- triebenen willen, die von den Bürgermeisterämtern dort mit viel Mühe untergebracht sind und endlich anfangen, sich von ihrem schweren Erleben zu erholen, legen wir gegen ihren Plan den al- lerschärfsten Protest ein.“ 614 Politik und Verwaltung hegten zu diesemZeitpunkt aber kaum noch Zweifel, dass die einmal formulierten Abbauziele künftig Richtlinie für das Handeln der Verantwortlichen sein würden. Im Frühjahr 1953 warnte der Jüchener Amtsdirektor: „Wir müssen alle auf der Hut sein. Die Braunkohleindustrie geht rigoros vor.“ 615 Als Elfgen dann 1954 als erster Ort umgesiedelt werden sollte, Um eine angemessene Seelsorge werden sich die Wohnungssu- chenden wohl kaum in erster Linie gesorgt haben. Für sie ging es nach wie vor allem um akzeptablen Wohnraum – im Idealfall in Kombination mit einem guten Arbeitsplatz. So diskutierte der Hochneukircher Gemeinderat am13. Dezember 1951 eine Eingabe der Otzenrather Kleiderfabrik Bausch GmbH, in der diese eine verstärkte Konzentration auf die Errichtung vonWohnungen ein- forderte, weil deren bisheriges Fehlen den Zuzug dringend benö- tigter Arbeitskräfte empfindlich beeinträchtige. Die ersten Anzei- chen des beginnenden Wirtschaftswunders kamen nun offenbar auch auf demLand an, und die Hochneukircher Gemeindevertreter sahen sich zu einer intensiven Diskussion „über Wohnungsneubau undWohnraumbeschaffung“ veranlasst, deren Ergebnis nicht über- raschend war: „Alle verfügbaren Mittel sollen dem sozialen Woh- nungsbau zur Verfügung gestellt werden.“ 611 Das Thema blieb von nun an für lange Jahre als akutes Problem permanent auf der Tagesordnung kommunalen Handelns. Wenn die Bauarbeiten mit der Fertigstellung weiterer „Flüchtlingseigen- heime“ imHochneukircher Siedlungsgelände auch durchaus Fort- schritte machte, die sich 1952 in einem deutlichen Anstieg der Schülerzahl der evangelischen Schule niederschlug, musste die Hochneukircher Verwaltung zur Jahreswende 1951/52 weiterhin eingestehen, dass das „Wohnungsproblem, welches die Gemeinde seit Jahren als ihre wichtigste Aufgabe ansieht, bislang nicht gelöst werden“ konnte. 612 Aber es ging in dieser Hinsicht deutlich berg- auf ! Hochneukirch von oben: unten rechts die neue Siedlung „Hochneukirch-Süd.

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