Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen

Am 20. Dezember 1945 werden die Insassen des kleinen Schullagers nach Oksbøl verlegt; ein „riesengroßes Lager“, wie sich Charlotte Leibrandt erinnert. Dort habe man das „Glück“ gehabt, fügt sie mit Ironie hinzu, in einem Pfer- destall untergebracht zu werden. Dort „bewoh- nen“ Mutter und Kinder Tomaschewski zwei doppelstöckige Etagenbetten. An die Zeit im dänischen Lager mit seinen 30.000 bis 40.000 Insassen hat Charlotte Leibrandt gemischte Erinnerungen. „Wir waren ja regelrecht interniert“, fasst sie die damalige Situation prägnant zusammen. Mit der däni- schen Bevölkerung sei man nun überhaupt nicht mehr in Berührung gekommen. Diese Iso- lation und die durch Beschäftigungslosigkeit geprägte Lagerzeit belasten sehr. „Aber wir haben sie rumgekriegt“, fasst Charlotte Leib- randt die damalige Perspektivlosigkeit zusam- men. Für ungewollte tägliche Beschäftigung sor- gen die Flöhe, Läuse und Wanzen, die es im La- ger reichlich gibt. „Jeden Abend saßen wir da, die Hemden und alles ausgezogen, und haben ‚Nüsse‘ [Wanzen] geknackt.“ Alle anderen Maß- nahmen seien wirkungslos verpufft. So seien die Baracken zwar mehrere Male geräumt und mit Insektenmitteln behandelt worden, aber die Wanzen seien bereits am nächsten Tag wieder da gewesen. Die Verpflegung wird von einer großen La- gerküche übernommen. Morgens und abends sei Brot zugeteilt worden: „Zehn Mann ein Brot.“ Mittags habe die Küche dann Essen ge- liefert. Jede Familie im Lager habe einen Be- hälter gehabt und Scheine zugeteilt bekommen, auf denen die Anzahl der zu versorgenden Per- sonen angegeben gewesen sei. Dann sei mit- tags immer ein Familienmitglied mit Zettel und Behälter den recht weiten Weg zur Ausgabe- 62 AUS DEM LEBEN VON CHARLOTTE LEIBRANDT im Lager hierauf keinerlei Gedanken verschwendet. „Man hat sich damals dafür gar nicht interessiert. Wo die Mutter war, da war man ja immer in Obhut. Da fühlte man sich ja auch wohl.“ Zur dänischen Bevölkerung, so Charlotte Leibrandt, habe man nach der Kapitulation keinerlei Kontakt mehr gehabt. „Wir waren ja regelrecht eingeschlossen.“ Die Schule und deren gesamtes Gelände seien von dänischen Posten bewacht wor- den, die zunächst kein Wort mit den nunmehr Internierten ge- wechselt hätten. Das habe sich im Laufe der Zeit aber glückli- cherweise etwas geändert, und man habe durch die Gitter dann einige Worte wechseln können. „Wir waren ja regelrecht interniert“ – Lagerleben Familie Tomaschewski vor „ihrer“ Flüchtlingsbaracke im Lager Oksbøl. Charlotte ganz links. Ihre Mutter trägt den „Fluchthund“ auf dem Arm.

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