Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen

Das nächste Ziel ist Uelzen in Niedersachsen, wo die Flüchtlinge für eine weitere Nacht in einem großen Saal unterkommen. Noch immer wissen sie nicht, wohin ihre Reise geht. „Wir kamen in den Westen, und wohin, das wusste kein Mensch. Wir wurden irgendwo hingebracht.“ Zuvor erleben die Bandemer-Kinder aber noch eine schöne Episode, die ihnen zeitlebens in Erinnerung bleiben wird. An die- semWochenende wird in Uelzen Schützenfest gefeiert, was Erna Bandemer für eine besondere Überraschung nutzt. Sie leiht sich in der provisorischen Unterkunft eine kleine Schüssel und holt darin vom Kirmesplatz eine große Portion Eis. „Das werde ich nie 74 AUS DEM LEBEN VON HANNELORE BEULEN „Da klopfte es nachts gegen zwölf, ein Uhr bei uns an den Fenstern. Wir müssten aufstehen, die nötigsten Sachen zu- sammenpacken und dann zum Markt kommen.“ So beginnt im August 1946 die Vertreibung aus Groß Boschpol. Man habe in aller Eile Säcke gepackt und - trotz sommerlicher Temperaturen - alles „doppelt und dreifach“ übereinander angezogen. Die Bandemers nehmen mit, was sie tragen können und begeben sich zum Markt, wo sich bereits viele Ortsansässige eingefun- den haben. Dort fahren Lastwagen vor, die die Wartenden nach Lauen- burg transportieren. Am dortigen Bahnhof wartet ein Güterzug mit Viehwaggons. Viele von ihnen sind bereits dicht mit Men- schen belegt, die auf dem nackten Boden sitzen. Die Groß Boschpoler müssen sich hinzugesellen. „Und dann ging die Fahrt los. Erst einmal bis Stettin. Unterwegs starben kranke Menschen, die in dem Wagen waren. Es stank. Jeder machte, was er wollte, auf den Boden. Und dann wurde die Tür aufge- macht und die Toten rausgeschmissen“, erinnert sich Hannelore Beulen mit Grauen an diese erzwungene Fahrt Richtung Wes- ten. Hinzu gesellen sich die „unheimliche Angst“ vor dem völlig ungewissen Schicksal und die unzureichende Verpflegung. „Ich weiß, dass ich vor Hunger geweint habe.“ Erst in Stettin, wo die Gruppe für eine Nacht in einer großen Halle untergebracht wird, bekommt jeder Zuginsasse einen eingelegten Hering. „Und meine Eltern haben die Heringe nicht gegessen, sondern an uns verteilt“, erinnert sich Hannelore Beulen noch heute mit Dankbarkeit. „Und dann ging es weiter.“ vergessen. So hat danach nie wieder ein Eis geschmeckt“, erin- nert sich Hannelore Beulen. „Und wir bekamen auch eine Apfel- sine. So hat auch keine Apfelsine mehr geschmeckt.“ Die nächste und letzte Etappe der Zugfahrt endet in Gre- venbroich. „Und da stand wieder ein Lastwagen, wo wir mit mehreren Familien raufkamen. Und dieser Lastwagen brachte uns nach Garzweiler.“ Hier werden die Ankömmlinge in der geräumten alten Schule untergebracht. Familie Bandemer bezieht mit vielen anderen Vertriebenen einen großen, mit Strohsäcken ausgelegten Klas- senraum. „Da durfte sich jeder einen Strohsack aussuchen“, „Unterwegs starben kranke Menschen, die in dem Wagen waren.“ – Vertreibung „Wir kamen in den Westen, und wohin, das wusste kein Mensch.“ – Ankunft im Westen Der am 20. August 1946 von der Gemeinde Garzweiler ausgestellte Flüchtlingsausweis von Erich Bandemer

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