Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen

75 AUS DEM LEBEN VON HANNELORE BEULEN „Die haben uns alles gebracht, was sie übrig hatten.“ – Leben in Garzweiler erinnert sich Hannelore Beulen an den Beginn des mehrwö- chigen Schulaufenthalts zurück. Dabei hat man Glück im Un- terbringungsunglück, denn die unfreiwillig auf engem Raum untergebrachten Familien verstehen sich gut. „Ich habe nie ein böses Wort gehört“, eine angesichts der Enge ohne jede Pri- vatsphäre erstaunliche Feststellung. Natürlich ist jeder darauf bedacht, „irgendwo unterzukom- men“, weshalb sowohl seitens der Gemeindeverwaltung als auch in Privatinitiative nach einer freien Unterkunft gesucht wird. So wird Familie Bandemer vom Jackerather Ortsvorsteher zur Woh- nungsbesichtigung bei einem großen Bauern abgeholt. Die Be- sichtigung hat für Erich Bandemer eher abenteuerlichen Cha- rakter: „Da wurde er geführt über eine Hühnerleiter nach oben, über Ställe, wo Knechte und Mägde mal gelebt haben. Da sollte er mit uns einziehen.“ Das lehnt er mit klaren Worten ab. „Das könnte er seiner Familie nicht zumuten.“ Die heruntergekomme- nen Räume seien nicht nur eine „furchtbare Zumutung“ gewesen, sondern der Zugang zu ihnen zudem lebensgefährlich. An den kurzen Besuch in Jackerath hat Hannelore Beulen bis heute eine weitere sehr unangenehme Erinnerung. Während Die Wohnverhältnisse in der Garzweiler Schule sind alles an- dere als einladend. Hygiene steht in den für eine solche Nut- zung nicht vorgesehenen Räumlichkeiten nicht gerade an erster Stelle. Toiletten seien sicherlich da gewesen, meint Hannelore Beulen, ohne sich allerdings genauer an die Um- stände erinnern zu können – vermutlich ein Akt unbewusster Verdrängung unschöner Zustände. Essen - „irgendwas“ - sei täglich über die Gemeinde zur Verfügung gestellt wor- den. Unter den gegebenen Umständen und angesichts der He- rausforderungen der damaligen Zeit, so fasst sie die Erleb- nisse der ersten Zeit in Garzweiler trotz aller Beschwernisse zusammen, könne man über das Verhalten des Großteils der Bevölkerung eigentlich nichts Negatives sagen. Im Gegensatz zum strikt ablehnenden Verhalten der Jackerather Bauern- familie habe es immer wieder auch Menschen gegeben, „die sich unheimlich eingesetzt“ hätten. Hierzu trifft sie eine – wohl nur auf den ersten Blick überraschende – Feststellung: „Wir haben hinterher überlegt, wer hat sich am meisten um uns gekümmert und später dann festgestellt, die waren ärmer als wir. Die haben uns alles gebracht, was sie übrig hatten.“ Erich Bandemer engagiert sich früh im örtlichen Flücht- lingsausschuss, was sich für seine Familie, so erinnert es zu- mindest Tochter Hannelore, eher negativ auswirkt. Der Aus- schuss ist nämlich auch an der Verteilung der knappen Güter an die Vertriebenen und Flüchtlinge beteiligt. „Da gab es mal Vater und Mutter sich die unzumutbare Unterkunft anschauen, wartet sie mit Schwester und Bruder in der Küche des Bauern. „Dort wurde gewurstet, gegessen, gebraten. Die saßen da am Tisch und aßen, und wir hatten Hunger und hatten nichts. Und die haben uns nichts angeboten!“ Das, so betont sie noch heute, habe sie lange nicht verkraften können. Nach der missglückten Besichtigung führt der Weg zurück in den engen Garzweiler Klassenraum. „Und so ging das weiter.“ Zwischenzeitlich angebotene Wohnungen sind entweder eben- falls unzumutbar oder aber die Begleitumstände so problema- tisch, dass auf einen Bezug verzichtet werden muss. Offenbar bildet sich unter den Flüchtlingen schnell ein Kommunikations- netzwerk aus, das auch über Einstellung und Verhalten etwaiger Gastgeber informiert. „Bei dem, ist dann gesagt worden, sind die Leute, die da gewohnt haben, ausgezogen, weil ihnen der Eigentümer einen Eimer Wasser unter die Tür geschüttet hat, um sie rauszuekeln. Da ging mein Vater auch nicht rein.“ – Offenbar mussten Einheimische nur unfreundlich genug auf- treten, um unerwünschte Mitbewohner von ihrem Haus fern- zuhalten. „Wir waren ja Eindringlinge.“ Dieser Abschrift einer Aufstellung lassen sich die Zuteilungen ablesen, die an Familie Bandemer zwischen 1946 und 1948 ausgegeben wurden.

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