Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen
79 AUS DEM LEBEN VON HANNELORE BEULEN Einmal allerdings stellen sich die konfessionellen Schranken schier unüberwindlich auf Hannelore Beulens Lebensweg. Als sie ihren späteren Mann, einen Jüchener, kennenlernt, wird dessen streng katholische Schwester – die Mutter ist bereits verstorben – zur erbitterten Gegnerin. „Als sie hörte, ich sei evangelisch, da hat sie alles daran gesetzt, um uns auseinander zu bringen. Es war ganz schlimm.“ Insgesamt aber, so betont Hannelore Beulen, habe sie in Gar- zweiler nie eine ausgesprochen negative Behandlung erfahren. „Von niemand!“ Natürlich sei die Hilfsbereitschaft nicht flächen- deckend gewesen, aber das habe man relativ schnell akzeptiert. „Wer uns nichts gegeben hat, der hat uns eben nichts gegeben.“ Wichtiger sei aber etwas anderes gewesen: „Wir wurden nicht beschimpft. Wir waren ziemlich schnell integriert in diesem Ort.“ Dabei wird offensichtlichen Integrationshindernissen – nicht zuletzt der in den Dörfern am Niederrhein dominierenden Mund- art – durchaus auch mit Humor begegnet. So hat Familie Ban- demer eine Nachbarin, deren ausgeprägtes Platt sie einfach nicht verstehen kann. Mutter Erna habe das angesichts der völligen Unverständlichkeit so kommentiert: „Ich bin richtig ent- täuscht. Jetzt kommen wir von den Pollacken und sind wieder beim Pollacken.“ Hannelore Beulen selbst fühlt sich mittlerweile ganz in Gar- zweiler „angekommen“. Sie sitzt heute mit ihren niederrheini- schen Freundinnen zusammen oder geht mit ihnen turnen. Das hängt nach ihrer Einschätzung nicht zuletzt damit zusammen, dass Familie Bandemer nach der Ankunft imWesten stets Kon- takt zu Einheimischen gesucht habe. „Wir haben uns nie ver- schlossen.“ Auch ihre Eltern fügen sich in das Dorfleben ein. Die Mutter nimmt am „Frauenkreis“ teil, und ihr Vater macht sich im Leben der Gemeinde „nützlich“. Zugleich sprechen sie aber auch gerne über ihre pommersche Heimat. „Die hätten sich auch gefreut, wenn sie alles noch einmal gesehen hätten.“ Das familiäre Zerwürfnis hat weniger damit zu tun, das Han- nelore Vertriebene ist, sondern es ist primär konfessionell moti- viert und hätte ähnlich wohl auch einheimische Protestantinnen treffen können. Die Liebe zwischen Hannelore Bandemer und Josef Beulen hält den schwesterlichen Schikanen stand, so dass beide 1960 heiraten – allerdings ohne dass sich Angehörigen der Familie Beulen unter den Hochzeitsgästen befunden hätten. Sie hat alles daran gesetzt, uns auseinander zu bringen – Konfessionelle Schranken „Wer uns nichts gegeben hat, der hat uns eben nichts gegeben.“ – Integration? Hochzeit von Hannelore und Josef Beulen am 6. Mai 1960
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