Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen

88 AUS DEM LEBEN VON ASTRID KATTHAGEN sind nicht sehr ermutigend: „Wir konnten schon von Weitem sehen, dass das Dorf sehr dunkel und zerschossen war; viele Häuser waren abgebrannt. Dann gingen wir zu unserem Haus und Hof. Auch unser Dach war durchgeschossen, die Stallun- gen waren kaputt. Das Haus war zumindest nicht abgebrannt, wie zum Beispiel das unserer Nachbarn. Wir sahen uns alles an. Im Hof wucherte das Korn, in der Tür des Kuhstalls lag eine tote Kuh. Alle anderen Tiere waren weg und die Ställe geöffnet worden - von wem, wussten wir nicht. In unserem Haus war alles geplündert und verwüstet, die Möbel kaputt. Nachdem wir uns alles angeguckt hatten, gingen Tante Hilde und ich wie- der nach Darsow.“ Insbesondere das Bild der verendeten Kuh prägt sich tief in Astrid Katthagens Gedächtnis ein. Das Tier ist aufgedunsen und bietet einen entsprechend schlimmen An- blick. Nach der Rückkehr beschließt der vorwiegend aus den Schwestern Venske bestehende Familienrat, erneut eine „De- legation“ nach Langeböse zu schicken, um das zerstörte und geplünderte Haus so gut wie eben möglich instand zu setzen. Anfang August macht sich Astrid mit Mutter Helena und Tante Hilde auf den Weg. „Und dann haben wir dort das Haus aufge- räumt und sauber gemacht.“ - Damit endet der Zwischenauf- enthalt in Darsow. „Mit einem Mal waren die Russen weg, und dann kamen die Polen.“ – Zurück in Langeböse In Langeböse müssen sich die Rückkehrer zunächst auf ein Leben unter russischer Besetzung einstellen. Astrid geht wie viele andere auf das im Ort gelegene Gut und arbeitet dort für die Besatzungsmacht. Weil es hierfür oft Naturalien gibt, geht es auch den Kuschs – den Umständen entsprechend – langsam besser. Das ändert sich jedoch noch im Sommer 1945 wieder schlagartig. „Mit einem Mal waren die Russen weg, und dann kamen die Polen“, erzählt Astrid Katthagen. „Und da hieß es schon: ‚Ja, dann müssen die Deutschen auch weg.‘“ Der Kusch’sche Hof wird von einem polnischen Ehepaar mit einem 19-jährigem Sohn und einer zehnjährigen Tochter übernommen, die mit nur einer Kuh, einem Pferd und einem kleinen Panjewa- gen in Langeböse erscheinen. Sie stammen aus Wilna und sind selbst Vertriebene, die immer wieder betonen, dass sie in ihre alte Heimat zurück möchten. Der Weg dorthin ist ihnen jedoch durch die Westverschiebung der sowjetischen Grenze dauer- haft verschlossen. Beide Familien wohnen künftig unter einem Dach. „Sie waren sehr gut zu uns, und das Zusammenleben hat sehr gut funktioniert. Sie wollten uns immer etwas zu essen abgeben, und wir Kinder freundeten uns mit ihren Kindern an.“ Helene Kusch arbeitet in dieser Zeit als Melkerin auf dem Gut, wo auch Tochter Astrid in der Landwirtschaft mithilft. Doch eines Tages – vermutlich im Frühjahr 1947 – heißt es: „Die Deut- schen müssen aus dem Dorf raus!“ Das bedeutet jedoch noch nicht die endgültige Vertreibung aus Pommern, sondern zu- nächst „nur“ die Ausweisung aus Langeböse, das nun Pogor- zelice heißt. Etwa zehn Gehminuten entfernt stehen kleine Häu- ser von früheren Gutsarbeitern. In einem von ihnen findet Familie Kusch auf eigene Initiative eine neue Unterkunft. „Da wohnten wir auch ganz schön.“ Was allerdings bleibt, ist die Angst, denn noch immer, so er- zählt Astrid Katthagen, hätten Angehörige der Roten Armee die Gegend durchstreift, seien häufiger in Häuser eingedrungen, Postkarte von Langenböse (gelaufen 1938)

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