Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen

97 Hochzeit von Willi und Rosa Schuh Werner Schuh wird am 9. Juni 1937 in dem kleinen Bauerndorf Pressern (heute: B ř ežany) bei Saaz (heute: Žatec) im Sudeten- land geboren, wo er mit einer anderthalb Jahre älteren und einer jüngeren Schwester auf dem elterlichen Bauernhof bis zum Ende des Krieges „behütet“ aufwächst. 85 In der 1930 lediglich 146 Ein- wohner zählenden Gemeinde – 1950 werden es nur noch 86 sein - liegt alles nah beieinander. Man kennt sich im katholisch geprägten Ort und lebt nicht nur zusammen, sondern unterhält enge Kontakte. So kennen Werners Eltern beispielsweise das kinderlose Lehrerehepaar sehr gut, bei dem ihr Sohn die Schule besucht. Pressern, so erinnert sich Werner Schuh mit einiger Wehmut zurück, sei - zumindest in seinen kindlichen Augen - ein „sehr harmonisches Dorf“ gewesen. „Wir hatten ja auch noch Verwandtschaft im Ort. Das war alles sehr schön.“ „Das war alles sehr schön.“ – Kindheit im Sudetenland „Das war eine schlimme Zeit.“ – Kriegsende „In der Mitte vom Ort war eine Kirche, und drumherum waren die ganzen Bauernhöfe und die Häuser. Einer dieser Höfe – ein mittelgroßer – wird von Familie Schuh bewirtschaftet. „Zu der Zeit war das schon ordentlich“, beschäftigt der Vater doch mehrere Hilfskräfte. Zugleich ist Willi Schuh auch Bürgermeister von Pressern, wo vorwiegend Sudetendeutsche wohnen. Nach der Erinnerung von Werner Schuh gab es aber durchaus auch deutsch-tschechische Ehen. Vom Krieg bemerkt der kleine Werner so gut wie nichts. Man hört zwar manchmal das Grummeln weit entfernter Bom- berverbände, was in der Familie aber offenbar nicht weiter the- matisiert wird. Aufgrund seines Alters - Willi Schuh ist 14 Jahre älter als seine Ehefrau und hat bereits aktiv am Ersten Weltkrieg teilgenom- men – wird Werners Vater zunächst nicht zur Wehrmacht ein- gezogen. Erst kurz vor Kriegsende ereilt ihn dann doch noch der Einberufungsbefehl. Er kommt jedoch lediglich bis in die Kreisstadt Saatz, wo ihm ein Bekannter einen rückblickend schlechten Rat gibt: „Willi, fahr doch nach Hause. Der Krieg ist doch zu Ende.“ Das tut Werners Vater dann auch und kommt auf seinen Bauernhof zurück. „Er wär vielleicht doch besser weggegangen“, glaubt Werner Schuh heute. Unmittelbar nach der Besetzung von Pressern werden nämlich alle Männer, die sich noch imDorf aufhalten, zusammengetrieben und in ein Lager gebracht, aus dem kaum jemand zurückkehrt. Hier verliert sich auch die Spur von Willi Schuh, von dem die Fa- milie nie mehr etwas hören wird. „Da sind nur ganz wenige, wie wir später erfahren haben, lebend wieder rausgekommen.“ So bleibt Mutter Rosa mit ihren drei Kindern allein zurück. An die Besetzung des Ortes hat Werner Schuh, obwohl da- mals noch keine acht Jahre alt, noch recht genaue Erinnerun- gen. Zunächst seien Angehörige der Roten Armee ins Dorf ge- kommen. „Die wollten nur Schnaps und Futter für die Pferde.“ Daher sei diese erste kurze Phase der Besatzung „gut“ verlau- fen, was sich bald jedoch grundlegend ändern soll: „Aber die Tschechen, als die kamen, die gingen auf die Frauen und Mäd- chen los.“ Das bekommt Werner hautnah mit, denn auch seine Mutter sieht sich angesichts der Bedrohung immer wieder ge- zwungen, sich zu verstecken. Tagsüber habe sich die Lage dann nach einiger Zeit entspannt, sei für die Frauen nachts aber noch über einen längeren Zeitraum weiterhin überaus be- drohlich geblieben. „Das war eine schlimme Zeit.“

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