Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen

118 AUS DEM LEBEN VON WOLFGANG KUHN Familie Kuhn macht sich auf den Weg in die Tschechei und kommt in Žaclé ř tatsächlich privat unter. „Die Frau war Deutsche, und ihr Mann war Tscheche.“ Angeregt durch den Hinweis einer ebenfalls aus dem Sudetenland stammenden Jüchenerin – der Schwester des hier ebenfalls porträtierten Werner Schuh – sieht Wolfgang Kuhn Kirchenbücher und Personenstandsunterlagen ein. Im Bürgermeisteramt wird ihm schließlich tatsächlich seine Geburtsurkunde vorgelegt: „Da stand ich da“, stellt er noch heute positiv überrascht fest, „da las ich meinen Namen in Schatzlar!“ Der Ort macht auf Wolfgang Kuhn allerdings einen verwahr- losten und somit enttäuschenden Eindruck. „Alle Häuser sahen trostlos aus. An einem alten Hotel an der Hauptstraße schlug der Wind die Fenster hin und her. Aus der Dachrinne wuchsen Sträucher.“ Als er vor seinem Elternhaus steht, ist auch hier der Eindruck desillusionierend: „Im Erdgeschoss lief das Wasser runter. Da wuchsen Bäume rein. Im oberen Stock, da war es bewohnt. Untendrunter war eigentlich alles schon verfallen.“ Nicht zuletzt wohl wegen dieser Zustände wird Wolfgang Kuhn durch diese Reise in die Vergangenheit wenig berührt. „Da hatte ich keine wehmütigen Gefühle“, stellt er nüchtern fest. „Das sind meine ersten Lebenserinnerungen.“ – Rückkehr nach Pritzier Wichtiger als die Reise nach Žaclé ř ist für Wolf- gang Kuhn die Reise nach Pritzier. „Das sind meine ersten Lebenserinnerungen“, betont er, „da wollte ich mal gucken. Daher waren wir auch zwei Mal dort.“ Ein erster Versuch vor der „Wende“ des Jahres 1989 scheitert aller- dings kläglich. Nachdem er ein Reisebüro in Grevenbroich aufgesucht und seine Wünsche hinterlassen hat, fällt das Ergebnis desillusio- nierend aus. „Herr Kuhn“, habe ihn der Besitzer des Reisebüros empfangen, „ich habe gerade eine Reise nach Australien verkauft. Aber das, was Sie wollen, das kann ich Ihnen nicht bieten, das schaffe ich nicht.“ Ein Hotel in Schwerin mit einer Bewegungsfreiheit von rund 15 Kilo- metern sei das Einzige gewesen, was man habe buchen können. Weil Pritzier damit aber außer Reichweite bleibt, wird auf diese Reise zunächst verzichtet. Der erste Besuch in Pritzier findet dann 1990 statt. Wolfgang Kuhn fragt offiziell beim Büro des Ortsbürgermeisters an, woraus sich ein Kontakt zu einem ehemaligen Arbeitskol- legen seines Vaters entwickelt, der ebenfalls in der Schlosserei im früheren Herrenhaus ge- arbeitet hat. Der räumt nun kurzerhand sein Schlafzimmer, in das Familie Kuhn mit fünf Per- sonen für die Dauer des Besuchs einzieht. Be- sonders wichtig ist Wolfgang Kuhn der Besuch am Grab seiner Mutter in Hagenow, das er zu seiner großen Freude nach fast 40 Jahren noch vorfindet. Wolfgang Kuhn vor dem ehemaligen Herrenhaus in Pritzier, seiner ersten Unterkunft im Jahr 1946, 1990

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