Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen

138 DIE RAHMENBEDINGUNGEN: DIE LAGE IM WESTEN Diemeisten der imKreisGrevenbroich-Neuss eingesetztenKriegs- gefangenen wurden zunächst im Stammlager (Stalag) in Krefeld- Fichtenhain untergebracht. Von dort wurden sie dann offenbar durch Vermittlung der Arbeitsämter Mönchengladbach und Neuss nach Anforderungen der lokalenOrtsbauernführer auf die einzelnenHöfe verteilt. Weil ein täglicher Transport zu den jeweiligen Einsatzorten unmöglich war, wurden noch imOktober 1939 erste kleinere Lager vor Ort eingerichtet. Allerdings waren weder das Landratsamt in Grevenbroich noch dieKommunalverwaltungen auf eine solche Ent- wicklung vorbereitet. Daher wurden die Gefangenen als Zwischen- lösung zunächst in den Sälen von Dorfgaststätten untergebracht. Die Kreisverwaltung legte im Oktober 1939 fest, wie solche improvisierten Unterkünfte auszusehen hatten: Um deren Bewa- chung zu vereinfachen, waren sämtliche Gefangenen im großen Saal der jeweiligen Gastwirtschaft unterzubringen. Als Schlafstatt sollten Stroh oder Strohmatratzen dienen; „wenn möglich“ — es ging auf den Winter zu! — sollte auch eine Decke zur Verfügung gestellt werden. Immerhin sollte der Raum beheizbar sein. Die sa- nitären Anlagen dürften selbst rudimentären hygienischen An- sprüchen Hohn gesprochen haben. Und natürlich wurde gemäß der NS-Rassenideologie „größter Wert“ auf eine „völlige Abtren- nung der Polen von der Außenwelt“ gelegt. Diese in den Quellen nur schwer fassbaren Lager standen unter Aufsicht und Verant- wortung der Wehrmacht, die auch die zumeist in abgetrennten Räumen am gleichen Ort untergebrachten Wachmannschaften stellte. Zunächst wurden die einzelnenHöfen zugewiesenen polnischen Kriegsgefangenen morgens unter Bewachung zu „ihrem“ Bauern gebracht und nach Feierabend wieder abgeholt. Weil das zu per- sonalintensiv war, wurde den Gefangenen ab Herbst 1940 kurzer- hand der Status von Zivilarbeitern zuerkannt. Nun wohnten sie direkt auf den Bauernhöfen, auf denen sie arbeiteten, so dass die meisten der kleinen „Arbeitskommando-Lager“ aufgelöst werden konnten. Während die Kriegsgefangenen der Wehrmacht unterstanden, war die „Vermittlung“ von Zivilarbeiterinnen und -arbeitern, soweit es sich um Arbeitsstellen in kleineren landwirtschaftlichen Betrie- ben handelte, anders organisiert: Nachdem die Betreffenden - nach freiwilliger Meldung aufgrund falscher Versprechungen oder als Opfer vor allem in Polen und der Sowjetunion durchgeführter Zwangsrekrutierungen - in Deutschland angekommen waren, wur- Stalag Alle Kriegsgefangenen waren mit ihrer Ge- fangennahme dem Oberkommando der Wehrmacht unterstellt, das damit auch für Unterbringung und Einsätze verantwortlich zeichnete. Die Basis des Kriegsgefangenen- wesens bildeten dabei die „Kriegsgefange- nen-Mannschaftsstammlager“, kurz Stalag genannt. Hier waren Gefangene der Mann- schaftsdienstgrade untergebracht, die zu Arbeiten aller Art außer in der Rüstungsin- dustrie eingesetzt werden konnten. Für die deutsche Kriegswirtschaft war dieses Ar- beitskräftereservoir von erheblicher Bedeu- tung, zumal das Beschäftigungsverbot in der Rüstungsindustrie im Laufe der Zeit kaum noch beachtet wurde. Die Stalags dienten als eine Art Durch- gangsstationen für Kriegsgefangene. Nach der Erfassung persönlicher Daten und einer Gesundheitskontrolle im Lager gelangten sie durch Vermittlung der Arbeitsämter meist in weiter entfernte, kleinere Lager der Arbeitskommandos für Land- und Forstwirt- schaft sowie der Industrie. Die Stalags ko- ordinierten weiterhin den Arbeitseinsatz der Gefangenen und „verwalteten“ sie. Kranke und arbeitsunfähige Gefangene mussten dem Stalag zurück überstellt werden. Wer dort nicht starb, wurde wieder der Landwirt- schaft zur Verfügung gestellt. Das Territorium des Deutschen Reiches war in 17 Wehrkreise eingeteilt, die mit römi- schen Ziffern gekennzeichnet waren. Zur genaueren Benennung erhielten die Stalags die Ziffer ihres Wehrkreises und in der Rei- henfolge ihrer Aufstellung einen Großbuch- staben. Das erste Lager im Wehrkreis VI (Münster) wurde in Hemer eingerichtet („Stalag VI A“), jenes in Krefeld-Fichtenhain hieß „Stalag VI J“. In den 17 Wehrkreisen gab es im Herbst 1941 bereits insgesamt 47 Kriegsgefangenen-Offizierslager (Oflags) und 80 Stalags. Rechnung des Rheydter Ortsbauernführers an die Gemeinde Kleinenbroich über den Einsatz von Kriegsgefangenen bei Aufräumungsarbeiten nach einem Bom- benangriff, 1941

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