Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen

171 DIE RAHMENBEDINGUNGEN: PROBLEME DER AUFNAHMEREGIONEN leisten würde. „Manche kämpfen dagegenmit einer Hartnäckigkeit, die jedes Verständnis für ihre obdachlosenMitmenschen vermissen lässt.“ Eigentlich, so stand im amtlichen Mitteilungsblatt für je- dermann lesbar gedruckt, sei der Krieg leider erst jetzt „in sein schlimmstes Stadium getreten“. Um dem Herr zu werden, drohte die Kommune schon zu diesem frühen Zeitpunkt unverhohlen Sanktionen an: „Gegen Bösartige, die glauben, ihre Mitbewohner gewissermaßen herausekeln zu können - auch so etwas kommt leider vor - muss notfalls eingeschritten werden.“ 160 Es sollte zur traurigen Normalität werden, dass sich in den mit Flüchtlingszuteilungen bedachten Dörfern Einheimische zu heim- lichen Koalitionen zusammenschlossen, umder lokalen Verwaltung so den Zugriff auf durchaus verfügbarenWohnraum zu verwehren, die sich dann ihrerseits oftmals zum Komplizen solcher Bestre- bungen machte. So klagte im Juni 1946 etwa ein nach Hessen Ver- triebener: „Wir wohnen mit vier Personen in einem kleinen Raum, während in denNachbarhäusernmehrere große Zimmer freistehen. Ich habe den Fall beobachtet und festgestellt, dass viele Dorfbe- wohner miteinander verwandt sind, und so steht fast jeder Ein- wohner mit den Mitgliedern der Wohnungskommission in ver- wandtschaftlicher Beziehung. Diese Kommission aber wagt es natürlich nicht, bei den lieben Verwandten ein Zimmer zu be- schlagnahmen.“ 161 Der völlig überbeanspruchte dörfliche Wohnungsmarkt, da ist sich die historische Forschung sicher 162 , erwies sich als ständig schwe- lender Konfliktherd, in dem Mitmenschlichkeit nur zu häufig auf der Strecke blieb. Stattdessen wurden die Kämpfe um Wohnraum zumeist mit sehr harten Bandagen ausgefochten. Hierbei saßen die unerwünschtenAnkömmlinge naturgemäß in aller Regel amdeutlich kürzeren Hebel und mussten sich folglich mit dem begnügen, was ihnen von den Einheimischenmehr oder –weitaus häufiger - weniger freiwillig überlassenwurde. Gerade deshalbwurdenNotunterkünfte, Baracken oder Lagerbehausungen zunächst zum langwierigenWoh- nungsersatz. 163 Und wer das Glück hatte, doch privat unterzukom- men, durfte keinerlei Ansprüche stellen. So lebten nicht selten Flücht- lingsfamilien mit fünf bis acht Personen in einem Zimmer, wobei insbesondere die ländlichen Gemeinden bei der Flüchtlingsunter- bringung ein „überaus trostloses Bild“ boten. 164 Den sich immer höher auftürmenden Problemen versuchten die Verantwortliche mit viel Ausdauer zu begegnen, ohne ihnen aber jemals Herr werden zu können. Als erste wohnungspolitische Maßnahme führten die Alliierten mit dem Kontrollratsgesetz Nr. Flüchtlingselend in Westdeutschland 1947: Ehepaar mit neun Kindern in einem Elendsquartier in der britischen Besatzungszone

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