Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen

213 DIE NACHKRIEGSZEIT IN JÜCHEN wir die Möbel stehen lassen, Kisten, Kästen und Körbe usw. in das oberste Geschoß einschließen auf den beiden Zimmern von Frau Linnarz und uns Betten, Kleider, Wäsche und Lebens- mittel mitnehmen. Schwester Oberin bot uns zwei Zimmer im Kloster an: ein kleines im alten Haus für mich, ein großes dane- ben für die Frauen und als Wohnraum. Frl. Maria konnte in der Klosterküche für uns kochen. Wir konnten im Pfarrhaus noch bis Sonntagmorgen bleiben (8 Uhr), dann übergaben wir dem Dolmetscher des Kommandanten die Schlüssel. (…) Wir wohnen also nun im Kloster, alles, wie Gott es will, es hätte auch härter kommen können. Ab Montag, den 12.3. Ausgang von 6 Uhr vormittags bis 6 Uhr nachmittags, darum ab Mittwoch hl. Messen 8 1/4 Uhr im Kloster. In Garzweiler sind noch 530 aus Garzweiler; dazu über 150 Flüchtlinge. Verschiedene sind wieder zurückgekehrt. Bei den amerikanischen Soldaten sind auch katholische und evangelische Divisionspfarrer, Chaplain. Der katholische hält in unserer Pfarrkirche Gottesdienst. Diens- tag 13.3., ¼ vor 4: erst Kreuzweg, dann stille hl. Messe, um 5 Uhr Requiem für einen gefallenen Soldaten. In der hl. Messe waren 40 (davon 25 Kommunikanten), im Requiem 80 (davon 20 Kommunikanten), alle sehr andächtig. Confrater kann kein Deutsch, ich kein Englisch, doch verstehen wir uns schön. Sehr bedrückend ist es, dass man sozusagen von der ganzen Umwelt abgeschnitten ist: man erfährt nichts von den Kriegs- ereignissen, nichts von den Angehörigen, von Soldaten oder Evakuierten, kaum etwas von den umliegenden Dörfern. Die Ortsgeistlichen in Otzenrath, Jackerath und Immerath sind Bür- germeister (um welches Amt ich keinen beneide). In Jackerath sieht es schlimm aus. In Priesterath und Jüchen, auch in Elfgen hat es gut gegangen. Am 12.3. war Pfarrer Radermacher von Elfgen mal hier, auch Matmeier von Jackerath kam mal nach hier. Die Kirche haben wir nun gereinigt und Donnerstag, den 15.3., läutete zum ersten Mal seit 6 ½ Jahren wieder der „Engel des Herrn“. Samstagnachmittag amerikanische Soldatenmesse (½ 5 Uhr), schwach besucht. Sonntag, 18.3. hl. Messen in der Pfarr- kirche 8 und 10 Uhr, gut besucht. Große Freude bei allen. Aber kalt und zugig war es in der Kirche, trotzdem schon einige Tü- cher vor die Fenster gespannt waren. 115 Kommunikanten. Pre- digt kurz: Preis und Ehre, Lob und Dank dem lieben Gott. Nach- mittags Andacht und Taufe (Peter Krimp. 2. Kind, geb. 12.3 45 - getauft 18.3.45), Eltern Hubert Krimp und Gertrud Abels, Paten Peter Abels und Martha Krimp geb. Büttgenbach. Um 4 Uhr amerikanische Soldatenmesse: fast 100 Soldaten (44 Kommu- nikanten), sehr andächtig. Schön, Gesangbuch für Heer und Marine. Sonntagabend warf ein deutscher Flieger Bomben ins Garzweiler Feld!! Montag, den 19.3., Fest des heiligen Josef, hl. Messe für die Pfarre, gut besucht und 91 Kommunikanten. Nachmittags 5 Uhr Andacht mit Segen. Kirche sehr luftig. Viele Flüchtlinge aus den Grenzgebieten kommen auf der Rück- wanderung durch Garzweiler, auch manche hier weilende Flüchtlinge sind heimgekehrt oder dürfen in den nächsten Ta- gen nach Hause zurückkehren. Der Ortskommandant Major Hartoy (USA) gibt schriftlichen Reiseausweis. Die Ukrainer und andere Ausländer haben schon zum großen Teil den Ort ver- lassen, sie waren eine rechte Plage geworden. Mittwoch, den 21.3.: Der Dolmetscher des Kommandanten (Ma- jor Hartoy) von der 95. Division teilt mir mit, dass sie das Haus verlassen und wir wieder einziehen könnten, sie kämen aber in 4-5 oder auch in 8 Tagen wieder, dann müssten wir wieder räumen. So nahmen wir das Nötigste aus dem Kloster mit nach Hause, waren gespannt, wie es im Hause aussah. Doch waren wir angenehm enttäuscht. Gewiss, es war von Soldaten be- wohnt gewesen, es war, besonders da die Fenster noch zum Teil fehlten, sehr schmutzig, vor allem staubig. Es war viel durch- sucht, aber im Allgemeinen war alles erhalten und in Ordnung. Einiges fehlte: Photoapparat, die Geldkassette war erbrochen. Kohlen und Briketts von Frau Linnartz waren verbrannt und ähnliches mehr. Aber wir wohnten wieder im Hause, aßen an unserem Tisch, schliefen in unseren Zimmern. Mal abwarten, wie lange. Man sagt, die Soldaten hier kämen zum Einsatz. Ob in der Eifel oder am Rhein? Düsseldorf soll schon in der Hand der Ameri- kaner sein, die nun viele Boote heranbringen, um den Rhein zu überqueren. Seit dem Übergang über die Roer ist nun ein Monat verflossen, und wie viele Monate wird der Krieg noch dauern? Einer von der Regierung (Hermann Göring oder Joseph Goeb- bels) soll gesagt haben: Auch wenn wir den Krieg verloren ha- ben, wir kämpfen weiter. Wahnsinn oder Verbrechen? Ist das Liebe zum Volk oder nur Selbsterhaltung ohne Rücksicht auf Vernunft? Ohne Rücksicht auf Tausende, die nun noch sterben müssen. (…) Palmsonntag in der gewohnten Weise gefeiert (25.3.), Grün- donnerstag ebenso, wieder Glockengeläute beim Gloria. Heute (29.3.) hat Pfarrer Hevenith Garzweiler verlassen, wo er mit seiner Haushälterin seit dem 7.1. im Kloster gewohnt hat. Er kehrt in seine Pfarre Setterich zurück. Dort findet er die Kirche in Trümmern, sein Pfarrhaus hat noch 2 Mauern. Aber nun fan- gen sie mit Gottvertrauen wieder an. Auch die Flüchtlinge aus Dürwiss und Umgebung haben Garzweiler verlassen. Alles dreht der Heimat zu, wenn sie auch noch so zerstört ist. Es bleibt die Heimat. Wie müssen wir Gott dankbar sein, dass wir nicht zu flüchten brauchten, und wie mag es den Garzweilern

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