Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen

214 DIE NACHKRIEGSZEIT IN JÜCHEN ergehen, die über den Rhein gegangen sind? Wo mögen sie sein? Man erzählt, die feindlichen Truppen wären schon in Würzburg, Erfurt, über Essen hinaus! Karfreitag: sehr stürmisches Wetter, also auch in der Kirche, wo ja alle Fenster zerstört sind, sehr luftig. Aber es fehlt an Material und Arbeitskräften, um die Fenster zu schließen. 1.4., Ostersonntag: Da es unmöglich ist, bei dem Sturm sich stundenlang in der offenen Kirche aufzuhalten, wird das Gebet, das sonst an den Tagen war, auf später verschoben. Die ganze Woche hindurch war es kalt und so regnerisch und ungemütlich in der Kirche, aber es fehlt an Glas und Holz, um die Fenster zu schließen. 5.4. Heute funktioniert die Wasserleitung wieder, so dass sich die Leute nicht mehr begnügen müssen mit Regenwasser oder Wasser aus dem Brunnen. 8.4. Weißer Sonntag, in einigen Pfarren (Jüchen) Kinderkom- munion. (…) 14.4. Nun ist auch der elektrische Strom wieder da, für Licht und Kraft ist nun gesorgt, so dass man sich nicht mehr mit Kerzenlicht behelfen muss und auch der Windmotor an der Or- gel in der Kirche wieder tätig ist. Auch Radio-Empfang und da- mit Verbindung mit der Außenwelt. 1. Mai: Nicht mehr nationaler Feiertag für uns, in anderen Län- dern internationaler Feiertag der Arbeiter. In der Vatikanstadt: Fest der Arbeit (englischer Rundfunk). Heute meldete der Rund- funk (englisch): Der deutsche Sender Hamburg gibt bekannt: Großadmiral Dönitz gibt bekannt, dass Adolf Hitler bei der Ver- teidigung der Reichshauptstadt gefallen sei. Dönitz sei von Hit- ler zu seinem Nachfolger ernannt worden als Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber der Wehrmacht; es wird weiter ge- kämpft. Vor einigen Tagen gab der englische Rundfunk bekannt: Reichsführer SS Heinrich Himmler hat in einem Gespräch mit Graf Bernadotte von Schweden am 24.4. mitgeteilt, Adolf sei krank (Gehirnblutung), er würde höchstens noch 48 Stunden leben. 3. Mai. Heute teilte der englische Rundfunk mit: Dr. Hans Frit- sche (Vertreter und Sprecher für Dr. Goebbels) sei von den Russen in Berlin gefangen genommen worden und habe erklärt: A. Hitler und Dr. Goebbels haben sich selbst getötet. Quid est veritas? Was ist Wahrheit? Es gibt auch noch Leute, die meinen, A. Hitler habe sich bei Zeiten in Sicherheit gebracht (Japan). Wieder die bekannte Vernebelungspolitik. Wo bleibt das Staats- begräbnis? Montag 7. 5.: Nachdem im Süden (Italien), Westen und Nord- westen und Dänemark Kapitulation der Streitkräfte, jetzt allge- meine Kapitulation. 7.5. Vorverhandlung in Reims, Montag- Dienstag Mitternacht in Berlin, bedingungslose Kapitulation unterschrieben: Generalfeldmarschall Keitel, Generaladmiral von Friedeburg und Generaloberst Stumpf. Dienstag, den 8. 5., und Mittwoch, den 9.5.: Siegesfeiertage bei den Alliierten. Nach englischen Rundfunkmeldungen wurde die Leiche von Goeb- bels, Frau und Kinder gefunden (vergiftet). Gefangen Göring und Familie (habe gesagt, Hitler hätte ihn zum Tode verurteilt, SS habe ihn verhaftet, Luftwaffe ihn befreit). Befreit: von Schuschnigg (Österreich), Pastor Niemöller. 12. 5.: Es wird ausgeschellt, dass nicht mehr verdunkelt zu wer- den braucht. 13.5.: Pankratius, sakramentale Prozession durch das Dorf. Selbst gepredigt. Herrlicher Schmuck der Straße, prachtvolles Wetter. (…) 24. 5. Der Rundfunk meldet, dass H. Himmler, der Reichsführer der SS, sich nach seiner Gefangennahme durch die Engländer vergiftet hat. Ein russischer Offizier soll, wie der Rundfunk ebenfalls sagt, angegeben haben, dass Hitler am 1. Mai an einer Injektion (oder Infektion?) gestorben sei, sein Körper sei ver- brannt worden. Der ganze Generalstab usw. ist jetzt in Kriegs- gefangenschaft, eine deutsche Regierung gibt es nicht mehr. 15.6. Rückkehr des Pfarrers Berger aus Dachau, wo er ohne Urteil seit 16.12. 1941 im Konzentrationslager war. 17. 6. Feier der Neueinführung. Sonntag, den 8. Juli: Feierliche Übertragung der Kreuze wieder in die Schule. Die Kreuze waren am ... [Datum fehlt] aus den Schulen entfernt worden. Herr Amtsinspektor Robertz hatte dem Wegewärter Alois Holzweiler den Auftrag gegeben, die Kreuze abzunehmen, es müsste etwas daran getan werden; am anderen Tage würden sie wieder angebracht. (…) Die Kreuze haben verwahrt 1. Herr Amtsinspektor Robertz, 2. Herr Hubert Robertz, 3. Herr Hauptlehrer N. Bald soll nun der Schulunterricht beginnen, und da die Pankratius-Stube, in der sonst die Seel- sorgestunden gegeben wurden, für eine zurückgekehrte eva- kuierte Familie aus Garzweiler (Hoenen) zur Verfügung gestellt wurde (zwei Räume), wurde mir am 29.6. von Amtsbürgermeis- ter Evertz die Benutzung eines Schulhauses gestattet. So wur- den dann am Sonntag, den 8. Juli, die Kreuze feierlich zur Schule gebracht.

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