Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen

219 VOR ORT: JÜCHEN NACH 1945 begegnen werden. Beispielhaft sei hier lediglich eine entsprechende Stellungnahme von Amtsbürgermeister Lesaar im Rahmen einer Sitzung der Jüchener Amtsvertretung vom 22. Februar 1946 zitiert, als er den Anwesenden mitteilte, die örtliche Verwaltung sei für „eine ordnungsgemäße Erledigung der Arbeiten“ viel zu schwach besetzt und eine Erledigung aller Arbeiten daher schlicht „unmög- lich“. 262 In den übrigen Gemeinden des Untersuchungsgebietes sah es nicht besser aus, obwohl in Hochneukirch viele Zeichen zunächst in eine andere Richtung deuteten. Die erste dortige Nachkriegs- verwaltung zeichnete sich zumindest auf dem Papier durch Erfah- rung und Kompetenz aus. Bürgermeister Werner Mebs, 47 Jahre alt und am 15. März 1945 durch die Alliierten ins Amt berufen, war seit 1940 Angestellter der Gemeindeverwaltung Hochneu- kirch. Der 59-jährige Rentmeister Ernst Eickler leite die Gemein- dekasse bereits seit 1911, während der 51-jährige Gemeindeober- inspektor Leo Greven 1919 in die Kommunalverwaltung eingetreten war, ein Jahr vor demmittlerweile 65-jährigen Polizei- meister Theodor Jungheim, der seitdem die örtliche Ordnungs- polizei leitete. Auch der Angestellte Adam Cremer zählte schon seit 1935 zum Stamm der Hochneukircher Verwaltung, so dass unmittelbar nach der Besetzung des Ortes eine größere lokale Kon- tinuität kaum denkbar war. 263 Ob im Rahmen der Entnazifizierung doch noch empfindliche Lücken gerissen oder die Reihen durch Pensionierung oder Krank- heit gelichtet wurden, ist den Akten nicht zu entnehmen. Bekannt ist hingegen, dass die Leitung der Gemeinde und des Amtes Hoch- neukirch den Anforderungen letztendlich doch kaum genügte und eine gedeihliche Nachkriegsentwicklung eher erschwert haben dürfte. Das hing weniger mit der Repräsentanz durch Bürgermeister Karl Heinz Beier zusammen, der im Oktober 1945 in sein Amt gewählt wurde, das er mit einigen Unterbrechungen jahrelang in- nehaben sollte. Am 17. Mai 1946 wurde außerdem Schuhfabrikant Hermann Müller aus Hochneukirch auf Anordnung der Militär- regierung zum Ehrenbürgermeister ernannt. Die Verwaltungsge- schäfte wurden nach der neuen, von der britischenMilitärregierung eingeführten Gemeindeordnung jedoch vom Gemeinde- und Amtsdirektor, also von ausgebildeten Verwaltungsfachleuten ge- führt, bei deren Berufung man sich inHochneukirch offensichtlich recht schwer tat und letztlich wohl auch keine glückliche Hand hatte. Das kommunale „Postenwechsel -Spiel“ der frühen Nachkriegs- zeit ist bei derzeitiger Quellenlage nicht völlig durchschaubar. So viel aber ist klar: Am 23. März 1946 wurde der 1901 geborene Martin Tenten vomLandrat als Hochneukircher Amtsbürgermeis- ter eingesetzt, aber bereits drei Wochen später am 15. April als Amtsdirektor nach Glehn berufen. Damit kamHubert Lesaar ins Spiel, der, nachdem er seit Juli 1945 die Verwaltungsgeschäfte in Korschenbroich geleitet hatte, wie gezeigt im Februar 1946 als Amtsbürgermeister nach Jüchen gewechselt war. Nach dem schnel- len Wechsel von Tenten bestimmte die Militärregierung kurzer- hand, dass Lesaar nunmehr – angeblich aus Gründen der Spar- samkeit – auch die Geschäfte des Hochneukircher Amtsdirektors zu übernehmen habe. Am 25. September 1946 verlängerte die Hochneukircher Gemeindevertretung diese Personalunion ein- stimmig um weitere fünf Jahre. Am 25. Februar 1947 regte Amts- bürgermeister Müller an, diese Konstellation „bis zur Stabilisierung der Verhältnisse“ festzuschreiben. In der Gemeinderatssitzung am 9. Februar 1949 wurde die Personalunion schließlich aufgehoben und Ernst Bickler zum neuen Gemeindedirektor gewählt. Lesaars Amtszeit stand – zumindest mit Blick auf Hochneukirch – unter keinem besonders guten Stern. Obwohl erst 1917 geboren, war der Verwaltungschef augenscheinlich von eher schwacher Kon- stitution und häufig für längere Zeit krank. Außerdem wurde ihm der Vorwurf gemacht, seinen Arbeitsschwerpunkt in Jüchen zu se- hen. Er habe sich daher, so der schwere Vorwurf von Josef Gockel, „praktisch in Hochneukirch nicht betätigt“. 264 Wie immer die ge- nauen Hintergründe auch gewesen sein und die Aufteilung der Arbeitskapazitäten Lesaars sich tatsächlich gestaltet haben mögen, scheint doch klar zu sein, dass die Hochneukircher Verwaltung durch die nicht ganz glückliche Auswahl ihres Leiters in den ersten Nachkriegsjahren erheblich beeinträchtigt war. Über die Reorganisation der Verwaltung in Bedburdyck konnte lediglich in Erfahrung gebracht werden, dass hier das 59-jährige frühere Zentrumsmitglied Kaspar Kessel aus Aldenhoven von den Amerikanern zum erstenNachkriegsbürgermeister berufen worden war. Er war schon vor, dann aber auch nach 1933 als Rohrmeister bei der Gemeinde beschäftigt gewesen. In Garzweiler amtierte im September 1945 Bürgermeister Granderath – zunächst auch er in Personalunion mit seiner Aufgabe in Jüchen. 265 Hubert Lessar Kaspar Kessel, Bürgermeister in Bed- burdyck 1945, Gemeindedirektor 1946- 1950

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