Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen

Permit für die Korschenbroicher Tuchfabrik Peter Irmen. Unter einem „Permit“ ist eine Bescheinigung der Militärregierung zu verstehen, mit der die Wiederauf- nahme eines Betriebes genehmigt wurde. 230 VOR ORT: JÜCHEN NACH 1945 hieß es dort, könnten prinzipiell „in großem Umfange“ arbeiten, wenn ihnen nur etwas der in Grevenbroich in großer Menge her- gestellten Zellwolle als Spinnträger zur Verfügung gestellt würde. Leider sei es bislang aber trotz aller Bemühungen nicht gelungen, auch nur kleine Mengen dieses dringend benötigten Grundstoffs zu erhalten. Auch sonst krankte der Produktionssektor offenbar eher unter bürokratischen Schranken als unter Zerstörungen oder gar mangelnder Nachfrage: „Andere Betriebe, die arbeiten könnten, erhalten kein Permit. Betriebe, die arbeiten könnten und ein Permit haben, erhalten keinen Strom. Andere Betriebe, dieMaterial, Permit und Strom haben, erhalten keine Arbeiter. So fehlt immer etwas, um die Betriebe in Gang zu setzen. Was bisher geschaffen werden konnte, wurde aus Reserven geschaffen, die noch aus der Nazizeit stammen. Diese Reserven sind nun erschöpft.“ 285 Infrastruktur Das „immer etwas“ fehlte, war ein sozusagen „hausgemachtes“ Charakteristikum der ersten Nachkriegsjahre. Es galt nicht nur zahlreiche kriegsbedingte Zerstörungen zu beseitigen, sondern jene Investitionen in die öffentliche Infrastruktur nachzuholen, die sich während der Jahre zwischen 1939 und 1945 aufgestaut hatten und auf die Zeit nach dem „Endsieg“ verschoben worden waren. Das galt für nahezu sämtliche Bereiche des kommunalen Lebens. Zwei zentrale Problemfelder waren dabei die Schulen und der Woh- nungsbau. Beide Punkte werden aufgrund ihrer Bedeutung noch ausführlicher zu behandeln sein. Ein weiteres beklagenswertes Ka- pitel stellte der Zustand der Straßen dar, die - ebenfalls kriegsbe- dingt - seit Jahren nicht hinreichend gepflegt sowie durch Bombenkrieg und den anschließenden Durchmarsch unterschied- licher militärischer Einheiten mit ihrem schweren Gerät erheblich beschädigt worden waren. Große Teile des desolaten öffentlichen Wegesystems lagen in kommunaler Verantwortung und stellten die Gemeinden vor kaum zu lösende Probleme. Daran änderte auch die Währungsreform zunächst nichts We- sentliches, obwohl sich der Chronist der evangelischen Schule Hochneukirch zum Jahresende 1949 durchaus optimistisch gab. „Das wirtschaftliche Leben hat sich weiter gefestigt. Der Bauer hat eine gute Ernte eingebracht, und die Industrie hat voll gear- beitet, so dass das Steuereinkommen in der Gemeinde nach dem Urteil der Fachleute als gut zu bezeichnen ist. Infolgedessen konnte die Gemeinde auch die ersten öffentlichen Arbeiten nach dem Kriege vergeben. Neben den dringenden Reparaturen der Schul- gebäude konnten auch einige Straßen ausgebessert werden.“ 286 Allerdings handelte es sich wohl eher umWunschdenken, denn die Hochneukircher Verwaltung bezeichnete „die Instandsetzung der schlechten Straßen innerhalb der Gemeinde“ noch im Juli 1949 als „ein großes Kapitel“ künftiger Tätigkeit, das es anzugehen und zu lösen gelte. Erst jetzt, mehr als ein Jahr nach der Wäh- rungsreform, war es der Gemeinde möglich geworden, die Instand- setzung der Wickrather Straße in Hochneukirch, der Hauptstraße in Holz und der Hof- sowie der Baumstraße in Spenrath an ein Unternehmen aus Rheydt zu übertragen, worauf sich der Schul- chronist offenbar bezog. Was er verschwieg, war die Tatsache, dass das Geld – sprich die D-Mark – nunmehr zwar endlich wieder et- was „wert“, aber auch entsprechend knapp war und die kommuna- len Kassen nicht eben überquollen. So klagte die Hochneukircher Verwaltung Mitte 1949 mit Blick auf den nach wie vor desolaten Zustand der Schulen, dass bislang „nur der kleinste Teil der Arbei- ten“ habe durchgeführt werden können. „Die Gemeinde hofft von der Regierung noch entsprechende Zuschüsse zu bekommen.“ 287 Unter solchen Umständen konnten die dringend erforderlichen Arbeiten an der Infrastruktur nur sehr zögerlich in Angriff ge- nommen werden. Weil das ohnehin knappe Geld aber natürlich nur einmal ausgegeben werden konnte, galt es für die Verantwort-

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