Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen

26 AUS DEM LEBEN VON FRITZ STÖCKEL wir waren froh, in einem geheizten Raum untergebracht zu sein. Die Wirtsleute gaben uns ein warmes Essen, wir waren dankbar dafür. (…) Wir mussten nun mit unseren wenigen Lebensmitteln unser Dasein fristen. Zuhause hatten wir immer noch satt zu essen gehabt. Kartoffeln und Brot, wenn auch sonst viel fehlte. Die Frau war sehr geizig, hatte das Sagen in der Familie. Der Mann und der Sohn waren anders. Die Frau ging täglich zur Kirche, der Mann gab uns dann mal etliche Kartoffeln und etwas Holz. Die Frau sagte, sie könnte uns keine Kartoffeln geben, sie be- nötigten sie für die Schweine. Sie sagte zu meiner Frau, wenn sie gute Bettwäsche hätte, dafür würde sie ihr Lebensmittel geben. Das genügte uns, es war ein Trauerspiel. Die Katzen im Haus bekamen in ihren Fressnapf gute Milch und Brot, unser Sohn Siegfried musste sich so etwas ansehen und bekam nichts, ihm knurrte der Magen. Wir mussten uns Feuerholz be- schaffen. Es lag fast ein Meter Schnee. Wir gingen in den Wald und fällten kleine Bäume. Es war streng verboten, aber was sollten wir tun? Das grüne Buchenholz wurde verbrannt. Sieg- fried hatte ein Paar fast neue Schuhe, leider zu klein. Ich konnte dieselben bei einem Landwirt gegen 20 Pfund Mehl tauschen. Wir konnten uns wieder morgens eine Suppe kochen. Der Strom war auch zeitweise gesperrt. Wir hatten einen kleinen Tauchsieder, den konnten wir manchmal kurz gebrauchen für etwas zum warm machen. (…) Meine Tochter Ruth war ja bei meinem Bruder Erich in Gre- venbroich im Westen. Wir waren im Briefwechsel. Wir wollten ja wieder zusammenkommen. Ruth besuchte uns. Mit der Bahn konnte sie bis nach Göttingen kommen. Bis nach Bischofferode waren es noch ca. 30 km. Sie musste den Weg zu Fuß zurück- legen, es war sehr schlechtes Wetter. Wir waren erfreut über das Wiedersehen. Wir konnten alles über das weitere bespre- chen. Es musste alles gründlich vorbereitet werden für eine Übersiedlung nach dem Westen. Wir mussten vor allen von ei- nem Ort in Westen eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen. Das war sehr schwer, es musste ein Arbeitsnachweis erbracht werden. Beides musste erst beschafft werden, das erforderte Zeit. Ich musste versuchen, nach demWesten reisen zu können, um dort alles Erforderliche zu erhalten. Nach Tagen reiste ich mit Ruth nach demWesten zu meinem Bruder Erich nach Grevenbroich. Wir mussten über die Zonen- grenze bei Duderstadt, der Übergang war noch nicht so streng. In Grevenbroich erkundigte ich mich beim Arbeitsamt wegen Arbeit. In Jüchen suchte ein Elektriker einen Monteur, möglichst einen Meister. Ich fuhr nach dort, bekam die Arbeitsstelle als Monteur. Auch die Aufenthaltsgenehmigung und etwas Wohn- raum wurden mir zugesagt. Ich reiste zurück nach Bischoffe- rode. (…) Wir erhielten nach Wochen aus demWesten die Aufenthalts- genehmigung für Jüchen, auch etwas Wohnraum wurde uns zu- gesagt. Meine Schwägerin aus Dessau besuchte uns. Meine Frau und sie beschlossen, nach dem Westen zu fahren, zu mei- nen Bruder nach Grevenbroich. Wollten sich die Wohnung an- sehen, auch alles andere für die Übersiedlung vorbereiten. Nach ihrer Rückkehr musste nun der Entschluss für die Abreise fest- gelegt werden. Wir wollten mit einem Pferdefuhrwerk bis nach Duderstadt, von dort mit der Bahn weitereisen. Mein Bruder Erich wollte uns von dort abholen. Also, die Abreise musste ge- nau festgelegt werden. ImOrt war ein Bauer, der machte Fuhren nach Duderstadt. Ich bat ihn, uns mit unserer Habe nach dort zu bringen. Unsere Abreise musste geheim gehalten werden. Wir mussten unsere Sachen alle gut verpacken und unbemerkt zu dem Bauern bringen. Unser Nachbar Forster, die hatten immer etwas übrig für uns, brachte mit einem Wagen und seiner Kuh die Sachen unbemerkt zu dem Bauer. Am andern Morgen in aller Frühe sollte die Abreise erfolgen. Ich hatte Spätschicht, ar- beitete bis zur letzten Stunde. Hatte mich in den Wochen schon gut eingearbeitet. Mit einem jüngeren Arbeitskameraden, mit dem ich zusammenarbeitete, und einem Steiger war ich schon gut befreundet. Ich erzählte beiden, was ich vorhatte. Sie sagten mir beide Hilfe zu, falls erforderlich. (…) Es fiel mir schwer, wieder in eine neue ungewisse Zukunft zu gehen. Am frühen Morgen am 20.6.1947 fanden wir uns bei dem Bauern ein. Der Bauer hatte den Wagen mit etwas Heu beladen, darunter waren unsere Sachen, auch wir bestiegen den Wagen. Die Fahrt bis Duderstadt dauerte zwei Stunden. Wir mussten über die Zonengrenze. Es gab auch schon Schwie- rigkeiten an der Grenze, wir hofften, dass es ging. Ich hatte noch zwei Schachteln Zigaretten, die wollte ich im Notfall ver- wenden. An der Zonengrenze tauchten zwei deutsche Grenzer auf und hielten uns an, es waren junge Burschen. Fragten nach unserem Reiseziel. Ich gab ihnen die Zigaretten, sie wünschten uns eine gute Reise. Es war gut gegangen. Wir kamen glücklich auf dem Bahnhof in Duderstadt an. Mein Bruder erwartete uns schon. Wir bedankten uns bei dem Bauer, ließen alle Bekannten grüßen. (…) Auf dem Bahnhof verfrachteten wir den größten Teil unserer Habe, nur etwas Handgepäck nahmen wir mit. Vormittags konn- ten wir schon Richtung Hannover abfahren. Gegen Mittag waren wir schon dort. (…) Spätnachmittags waren wir schon in Köln, von dort konnten wir bald Richtung Jüchen weiterfahren. Von Jüchen fuhren wir mit einem Pferdefuhrwerk nach Wey, es waren vier km von Jüchen entfernt. Dort war die Wohnung, die man uns zugewiesen hatte. Es war eine Frau K., Kriegerwitwe, eine Tochter, 15 Jahre, und ein Sohn, 10 Jahre, und eine alte Tante, das waren unsere Gastgeber. Sie hatte etliche Morgen Land, ei- nen großen Obstgarten und eine Kuh. Die Unterkunft hier hatte mit Wohnung nichts zu tun, ich war bitter enttäuscht über diese Zumutung, Das Anwesen der Frau war nicht geeignet für zwei Familien. Wir mussten vorläufig zufrieden sein. (…)

RkJQdWJsaXNoZXIy MTI5NTQ=