Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen

264 VOR ORT: FLÜCHTLINGE IN JÜCHEN Obwohl hektische Betriebsamkeiten entfaltet und mehrere Tref- fen der Verantwortlichen anberaumt wurden, blieb zunächst auch weiterhin vieles im Dunkeln oder zumindest vage. So fand am 27. November 1945 in Korschenbroich eine „wichtige und dringende Besprechung der Herren Amtsbürgermeister“ statt, die Flüchtlinge aus dem Lager Kleinenbroich aufzunehmen hatten, bereits zwei Tage später dann eine allgemeine Konferenz zum Thema „Unter- bringung der Ostflüchtlinge und Rückwanderer“ auf dem Land- ratsamt in Grevenbroich. Im Rahmen dieser Besprechung wurde endlich das genaue Aufnahmeverfahren im Detail festgelegt und protokolliert, wenn auch nach wie vor offenbar niemandem be- kannt war, „wie viel Ostflüchtlinge die einzelnen Ämter bzw. Ge- meinden erhalten“ würden. Den Sitzungsteilnehmern wird ange- sichts der geforderten Listen, Karteien, Suchkarten und Registrierscheine der Kopf geraucht haben, waren die Verwaltungen – wie oben dargestellt - selbst doch noch im Aufbau begriffen, personell dünn besetzt und hatten in ihrem Arbeitsalltag einen Mangel an praktisch allem, nicht zuletzt Papier, zu beklagen. Den potenziellen Neuankömmlingen waren über die mit hohem Auf- wand verknüpfte Registrierung hinaus unterschiedlichste Beihilfen zu gewähren, deren Höhe und Verwendung wiederum in verschie- denen „Sachbüchern“ und Verpflegungslisten nachzuweisen und nach „Ostflüchtlingen“ und „Rückwanderern“ zu differenzieren waren. 391 Noch handelte es sich bei all diesen Treffen und Maßnahmen aber solange um „Trockenübungen“, bis im Rahmen einer Bürger- meisterversammlung dann am 7. Dezember 1945 mitgeteilt wurde, dass die angekündigten Flüchtlinge „jetzt aus dem Lager inHamm in das Kreisgebiet geleitet“ würden. Zur Betreuung der Flüchtlinge sollten „imRahmen der Winternothilfe“ umgehend – und wieder einmal - „Wohlfahrts-Komitees gebildet werden, die sich in Zu- sammenarbeit mit denOrganisationen der freienWohlfahrtspflege (Caritas, Innere Mission, jüdische Wohlfahrtspflege und Arbei- terwohlfahrt) den Betreuungsaufgaben der Flüchtlinge unterzie- hen“. 392 Nunmehr fand die mehrfach angekündigte Verteilung der Flüchtlinge imKreisgebiet - wenn wohl zunächst auch nur in recht beschränktem Umfang - offenbar tatsächlich statt. Dabei traten umgehend zuvor nicht erörterte Probleme auf, die als deutlicher Beleg für die damals allgegenwärtige Konkurrenzsituation gelten können, mit der sich in der frühen Nachkriegszeit all jene kon- frontiert sahen, die aus unterschiedlichen Gründen „unterwegs“ waren. Aufgrund „jüngster Erfahrungen“ wurde im Rahmen einer weiteren Bürgermeisterversammlung am 20. Dezember 1945 näm- lich die unbedingte Notwendigkeit betont, „zu verhindern, dass – wie in den letzten Tagen mehrfach vorgekommen – sich zwischen Ostflüchtlinge Einwohner der benachbarten Großstädte mischen und auf diese Weise im hiesigen Kreisgebiet Wohnsitz nehmen wollen“. Außerdem erkannte man den Bedarf einer genauen „Kon- trolle der Ostflüchtlinge auf unangenehme Elemente“, die nur ge- währleistet werden könne, wenn die genaue Einhaltung des fest- gelegten Verfahrens garantiert sei: „Es dürfen daher nur Flüchtlinge, die durch die Auffanglager gegangen sind, aufgenommen werden. Leute ohne Papiere sollen grundsätzlich in das zuständige Auffang- lager gesandt werden.“ 393 Bis das ausführlich diskutierte Verteilungsverfahren Platz greifen konnte, dauerte es allerdings noch einige Wochen. Erst Anfang Februar 1946 wurde berichtet, dass die „Auffangstelle Kleinen- broich“ mit der „Umlage der Flüchtlinge auf die einzelnen Ge- meinden“ beginnen werde. Die 450 Personen würden per LKW in die einzelnen Orte transportiert, wo man das jeweilige Kontin- gent am Rathaus „abzusetzen“ gedachte. 394 Solche „Meldelauufzettel“ – hier ein Exemplar des Durch- gangslagers Wipperfürth aus dem dem Jahr 1947 mit Zu- weisung nach Otzenrath – waren Voraussetzung zur Auf- nahme in den Dörfern.

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