Rüther: Flüchtlinge und Vertriebene in Jüchen

PROBLEMFELD 4: RELIGION Auch auf einem anderen, zumindest damals überaus wichtigem Feld mussten sich Einheimische und Neuankömmlinge zunächst annähern und aneinander gewöhnen, nämlich hinsichtlich konfes- sioneller Fragen und religiöser Toleranz. Das galt für die am Nie- derrhein Eintreffenden allerdings in sehr unterschiedlichemMaße. Katholische Flüchtlinge wurden in den Dörfern zwar auch als Ein- dringlinge stigmatisiert, fanden bei ihren Eingliederungsbemühun- gen allerdings weitaus niedrigere Zugangsschwellen vor als ihre evangelischen Leidensgenossen. Das betonen alle befragten Zeit- zeuginnen und Zeitzeugen. Allerdings erwies es sich als praktisch unmöglich, die Spuren des hier untersuchten Phänomens in schrift- lichen Quellen nachzuweisen. In keinem der angefragten bzw. be- suchten katholischen Pfarrarchive hat das Thema „Flucht und Vertreibung“ schriftlichen Niederschlag gefunden. Es mag im Sinne christlich-katholischer Nächstenliebe sicherlich Hilfestel- lungen gegeben haben, doch waren die dann offenbar so selbstver- ständlicher Bestandteil des Pfarrlebens, dass man sie keiner besonderen Erwähnung wert fand. Aber nicht nur für die einheimischen Katholiken war der Um- gang mit den gleichkonfessionellen Neuankömmlingen leichter als mit den protestantischen Zugängen, sondern auch für diese selbst war eine zumindest ansatzweise vollzogene Integration in die „gewohnte“ Religionsgemeinschaft naturgemäß weitaus einfa- cher als für die Protestanten. Die katholischen Flüchtlinge und Vertriebenen fanden große Pfarrgemeinden mit intakter Infra- struktur vor, in die sie sich bei allen landsmannschaftlichen Un- terschieden einfügen konnten – und letztlich auch mussten. Protestantische Flüchtlinge sahen sich am traditionell stark ka- tholisch geprägten Niederrhein hingegen mit weitaus größeren Problemen und oftmals massiver Ablehnung konfrontiert. Jede und jeder der hierzu Befragten kann sich bis heute nur zu gut an die verschiedenen Beschimpfungen erinnern, deren bekannteste wohl jene als „Blaukopp“ war. 541 Solche verbalen Angriffe waren zumeist aber auch gleichbedeutend mit der Verweigerung von so- zialen Kontakten und ein hohes Hindernis auf demWeg zur Inte- gration. Und wenn es dann dazu kam, dass man – etwa bei Ehe- schließungen - die beiden Stigmata als „Flüchtling“ und Angehöriger der „falschen Religion“ werten musste, konnte es durchaus vorkommen, dass dem letztgenannten Aspekt die größere Bedeutung beigemessen wurde. Der Zuzug einer vergleichsweise großen Zahl von Protestanten an den Niederrhein musste naturgemäß Auswirkungen auf die konfessionelle Struktur der einzelnen Dörfer wie auch der Kir- chengemeinden haben. Werfen wir hierzu zunächst einen Blick auf die örtliche Verteilung der Konfessionen. 312 VOR ORT: FLÜCHTLINGE IN JÜCHEN GEMEINDE 1946 1950 absolut % absolut % kath. prot. kath. prot. kath. prot. kath. prot. Bedburdyck 3439 587 85,2 14,5 3543 636 84,5 15,2 Garzweiler 2453 408 85,3 14,2 2506 485 83,5 16,2 Hochneukirch 4376 1004 80,3 18,4 4742 1232 78,5 20,4 Jüchen 3592 1737 66,8 32,3 3935 2082 64,8 34,3 Elfgen 809 22 97,1 2,6 871 52 94,0 5,6 Glehn 2818 389 87,2 12,0 2875 474 85,6 14,1 Liedberg 1539 189 88,9 10,9 1592 188 89,1 10,5 Korschenbroich 5103 442 91,6 7,9 5449 670 88,7 10,9 Pesch 1004 148 86,1 12,7 1107 144 88,2 11,5 Kleinenbroich 2823 266 90,7 8,5 3001 403 87,7 11,8 Büttgen 4971 629 88,2 11,2 5304 937 84,6 14,9 Holzheim 4481 553 88,2 10,9 4771 785 85,5 14,1 Kreis 107379 19467 83,7 15,2 115804 26470 80,6 18,4 KONFESSIONSZUGEHÖRIGKEIT IM KREIS GREVENBROICH 1946 UND 1950

RkJQdWJsaXNoZXIy MTI5NTQ=